Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)
am wenigsten traute.
Als sie spürte, wie die Tür des Gewölbes sich hinter ihr schloss, machte sie eine kleine Geste, und drei Eunuchenwächter schälten sich aus den Schatten und stellten sich vor sie hin. Sie waren Enkidos beste Schüler, Männer, die eigentlich nicht existierten, geschult, selbst in einer Menschenmenge nicht bemerkt zu werden. Sie konnten stundenlang regungslos dastehen, senkrechte Wände hochklettern, schnell und lautlos töten. Da sie keine Zungen hatten, konnten sie nicht sprechen, aber sie verstanden es hervorragend zu lauschen.
Folgt dem khaffit des Shar’Dama Ka , befahl Inevera ihnen mit flinken Gesten ihrer geschmeidigen Finger. Bringt alles über ihn in Erfahrung, und erstattet mir Bericht. Ich will wissen, mit wem er spricht und wohin er geht. Schmuggelt euch in die Festung ein, die er baut, und stellt fest, welche Geheimnisse er darin verbirgt.
Die Männer bewegten ihre Finger in perfektem Gleichklang, als seien sie Spiegelbilder voneinander. Wir verstehen und gehorchen. Sie verneigten sich und verschwanden, während Inevera den langen Weg in den Palast antrat.
Auch nach Monaten noch staunte Jardir, wie leicht seine Kampfmontur war, als Inevera ihm half, sich für den nächtlichen alagia’sharak vorzubereiten. Die Kleidung bestand nicht mehr aus dickem Stoff, in dem Metallplatten steckten, jetzt trug er dünne Seide, die er im Nu abstreifen konnte, um seine mit Kampfsiegeln und Schutzsiegeln überzogene Haut zu entblößen. Nackt war er nun stärker als im wuchtigsten Panzer.
»Heute werde ich dich begleiten, wenn du in die ungeschützte Nacht hinausgehst«, verkündete Inevera, nachdem er fertig angezogen war.
Jardir sah sie an, aber die Sonne war noch nicht gänzlich untergegangen, und er konnte ihre Aura nicht lesen. »Ich glaube nicht, dass das klug wäre, Liebste. Der alagai’sharak ist kein …«
Inevera zischte und wedelte verächtlich mit der Hand. »Mit Leesha Papiermacher wanderst du durch die Nacht, aber nicht mit deiner Jiwah Ka ?«
In seinem Herzen wusste Jardir, dass ihre zornige Miene nur gespielt war. Er hätte seine Krone verwettet, dass sie dieses Gespräch lange vorher geplant hatte, vermutlich mithilfe ihrer Würfel. Und dennoch verfehlte ihre Empörung nicht ihre Wirkung auf ihn.
Vielleicht, weil sie recht hatte.
Gleich darauf glätteten sich ihre Züge wieder, und sie trat so nahe an ihn heran, dass er durch seine Seidengewänder ihre warme, weiche Haut fühlen konnte. »Ich habe an deiner Seite gegen einen alagai -Prinzen und seinen Leibwächter gekämpft«, erinnerte sie ihn. »Muss ich da niedere Dämonen fürchten, wenn ich mich in Begleitung des Shar’Dama Ka befinde?«
»Selbst niedere Dämonen sollte man fürchten«, entgegnete er, obwohl er wusste, dass sie bereits gewonnen hatte. »Vergiss dies nur einen Moment lang, und du wirst sehen, dass auch die Damajah getötet werden kann.« Er griff unter ihr duftiges Seidengewand, streichelte die glatte Haut zwischen ihren Brüsten und fühlte ihren Herzschlag. »Egal, ob wir von Everam auserwählt wurden oder nicht, wir bestehen auch nur aus Fleisch und Blut.«
Inevera schmiegte sich an ihn und schob wiederum ihre Hände unter seine Kleidung. »Ich werde es nicht vergessen, Liebster.« Mit den Fingern zeichnete sie die Siegel nach, die sie in seine Haut geritzt hatte. »Aber du solltest nicht vergessen, dass ich mich genauso zu schützen verstehe wie du dich.«
Jardir lächelte. »Davon bin ich überzeugt.«
Gemeinsam verließen sie den Palast. Inevera ruhte in einer Sänfte, die von einem Kamel getragen wurde, und Jardir ritt auf seinem weißen Streitross. Jeder, dem sie begegneten, starrte sie verwundert an, aber keiner wagte es, ein Wort des Protestes zu äußern.
Trotz seiner Warnung befürchtete Jardir im Grunde nicht, dass Inevera etwas zustoßen könnte. Die meisten Dämonen waren aus diesem Gebiet verjagt worden, und die wenigen noch verbliebenen dienten seinen Männern zu Übungszwecken.
Everams Füllhorn war angelegt wie der Kopf einer Sonnenblume: In der Mitte befand sich die eigentliche Stadt, und davon ausgehend schlossen sich gleich Blütenblättern riesige Flächen Acker- und Weideland an. Die zentral gelegene Stadt war Jardirs persönlicher Machtbereich und gehörte zu keinem Stamm. Sie bestand aus einem inneren, ummauerten Gebiet und einem wesentlich größeren Außenbezirk. Die »Blütenblätter« hatte er an die Stämme vergeben, jeweils nach ihrer Größe. Die Kaji,
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