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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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näherte sich dem Gitter, wollte hindurchgreifen. Seine dürren Finger krümmten sich in gleichzeitiger Abwehr, glichen einer Kralle, die zustoßen und ihr das Herz aus dem Leib reißen würde. Ein Zittern erfasste seinen Körper. Tod – war es das, was er wollte? Diese Frage verwirrte ihn lange genug, um den Bann zu brechen. Bevor er der Versuchung erlag, sie zu berühren, zog er ruckartig seine Hand zurück, hielt sie mit der anderen fest, zum Zerrbild eines um Gnade Bittenden geworden.
    »Du bist nur ein Dämon!«, schrie er und zwang sich, zum Tor zu gehen.
    Draußen verharrte er, das Gesicht versteinert, als lausche er dem Echo eines Schreis. Dann sank er in sich zusammen, schlang die Arme um seinen Oberkörper. Er wollte nicht hierherkommen! Dieser Ort verursachte ihm nur Qualen. Aber eine unbekannte Kraft zog ihn unwiderstehlich in diesen Abgrund, rief, lockte, bis er sich vor dem Sarg wiederfand, aufgewacht aus einer Betäubung, die ihn seit unmessbarer Zeit gefangen hielt. Doch war diese Taubheit nicht besser als der stechende Schmerz in seinem Inneren bei diesem Anblick? Oft schon war er versucht gewesen, den Dämon zu vernichten, ihn auszulöschen. Nur wusste er genau, dass dieses Wesen mit seiner eigenen Existenz verknüpft und außerdem ein Faustpfand war. Was würde geschehen, wenn es sie beide nicht mehr gäbe? Die Welt würde im Dunkel versinken, daran wollte, nein, musste er glauben.

II

Der gebrochene Flügel
    Verstummt das Licht,
ist alles gesehen.
Die Flamme der Dunkelheit erhebt ihr Haupt
und Wolken kriechen ihr entgegen.
    Die 1. Prophezeiung Maidins
    Es heißt, Maidin war die Erste. Die Legende sagt, sie wäre entstanden, als die Zeit und mit ihr diese Welt geboren wurden. Nur einmal bin ich ihr begegnet, und das war schon mehr, als mir zustand. Vielleicht wollte sie es so. Warum, weiß ich allerdings nicht. Zuerst konnte ich sie in all dem Licht nicht sehen. Ihre Gestalt ist beinahe durchscheinend. Man sieht nicht, ob das Licht aus ihr heraus- oder aus einer anderen Quelle durch sie hindurchstrahlt.
    Seit sie die Herrschaft an ihre Tochter übergeben hat, verharrt sie regungslos hoch oben auf der Klippe im Osten und schaut hinaus auf das Meer. Ihre weißen Haare sind so lang geworden, dass die Spitzen von den Wellen auf dem Strand tief unter ihr benetzt werden. So viel Zeit ist vergangen, dass die meisten sich nicht mehr erinnern, wie Maidin, das Licht, die Sonne geboren hat, denn es ist, als wäre die Sonne schon immer da gewesen. Die Nachricht vom Verschwinden ihrer Tochter ließ Maidin unbewegt. Längst hatte sie es vorausgesehen. Ob sie es schon in ihrer ersten Prophezeiung andeutete? Bis heute konnte niemand entschlüsseln, was sie mit den Wolken gemeint hat. Auf Fragen gibt sie keine Antwort, aber das steht deutlich bereits im ersten Satz, warum es also immer wieder versuchen. Es scheint, als wäre sie mit dem weißen Kalk der Klippe verschmolzen, und in der Tat, ein Mensch würde sie nicht von der Umgebung unterscheiden können. Wer weiß, ob nicht bereits ein Häscher der Jalluthiner neben ihr saß, ohne zu ahnen, dass der Ursprung aller seiner Ängste zum Anfassen nahe war. Vermutlich hat er auch das an diesem Ort ungewöhnlich schöne Tageslicht nicht auf das Wirken eines Dämons zurückgeführt. Dieser Gedanke gefällt mir: Wir begegnen unserem größten Feind und begreifen buchstäblich, er ist ein fester Bestandteil unserer Welt. Und nicht nur das, wir erkennen auch, dass Licht und Dunkelheit einzig unserer Bewertung entspringen.
    Dunkelheit und Schläue, bald werden alle beide im Zentrum der Macht sein. Jetzt sind sie noch schutzbedürftig, aber es muss eine Zeit kommen, da ihre vereinte Kraft den Lauf der Welt ändern wird. Wie viel Zerstörung könnte dies mit sich bringen? Werden alle Menschen in den Untergang mitgerissen? Es gibt Tage, da stimmt es mich zornig, dass man auf manche Fragen keine Antwort erhält. Man kann nicht einmal erkennen, nach welcher Regel sich die Geheimnisse der Zukunft offenbaren. Bislang erscheint es zufällig, mehr wie die Entladung eines Gewitters und nicht wie eine absichtlich geschickte Voraussagung. Hat sich überhaupt schon jemand darüber Gedanken gemacht, wie verdient diese Hinweise sind, empfindet sie doch mancher als Belohnung? Oft haben sie nicht einmal etwas mit dem Empfänger oder seinem Leben zu tun. Vielleicht bekommt er sie gerade deshalb, eine wissende, aber neutrale Instanz.
    Man wird mir eine weitere Aufgabe aufbürden. Noch ist

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