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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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stehen. Er presste das Ohr an die Tür und horchte. Die Stille drinnen konnte natürlich alles bedeuten, aber falls er erwischt wurde, hatte er einen Plan. Von Nachbarskindern, die er im Lesen und Schreiben unterrichtete, hatte er sich Anweisungen für ein von ihm eigens dafür erfundenes Brettspiel auf Pergamentstreifen schreiben lassen. Für den heutigen Zweck stand da:
Bringe Jalluths Schriftrolle hinab ins dritte Zimmer im dritten Gang.
Sollte er im zweiten Stock erwischt werden, würde man ihm vermutlich glauben, dass er sich vertan hatte, schließlich galt er als etwas schwer von Begriff. Natürlich hatte er die Schrift mit Jalluths Gesetzen nicht in seiner Tasche. Selbst ein Tor wie er würde sie nicht einfach aus ihrem Schrein im Heiligtum entfernen, sondern erst am angegebenen Ort nachfragen, wofür und von wem sie gebraucht wurde. Trotzdem würde jeder annehmen, dass sich derjenige, der Ardal einen Streich gespielt hatte, ins Fäustchen lachte, denn niemand ging gerne in diese Unterwelt. Deshalb wurde der Eingang oben im Heiligtum nicht bewacht. Außer der Priesterschaft und ihren Flammenkriegern wagte sich kein Mensch auch nur in die Nähe des Tores nach unten. Ardal machte vorsorglich ein ängstliches Gesicht und zog das Genick ein, als er die Tür langsam öffnete. Niemand war zu sehen und er atmete auf. Schnell schloss er die Tür hinter sich, ging die Wand gegenüber ab und zählte dabei im Stillen mit. Die Länge betrug genau vier große Schritte. Mit diesem Wissen wagte er sich eine Treppe tiefer. Hier waren schon Geräusche zu hören, die von unten heraufdrangen: Stöhnen, Schreie und laute Rufe, die wie Befehle der Wachen klangen. Auch die Luft wurde deutlich schlechter. Es roch nach Erbrochenem, Exkrementen und Blut, ein Gestank, der das Werk der Folterknechte war und der aus den Kerkern in den nächsten drei Stockwerken nach oben kroch. Ardal hätte schwören können, dass sogar Angstschweiß in dem Übelkeit erregenden Gemisch zu riechen war. Seine Beklemmung wurde mit jeder Stufe stärker, die er nach unten schlich. Ohne jemandem zu begegnen, gelangte er zum Eingang der dritten Ebene. Das eiserne Tor stand wie gewöhnlich offen, die Jalluthiner mussten sich hier sehr sicher fühlen. Nun, die Geschichte sprach für diese Sorglosigkeit, denn noch nie war ein Gefangener entwischt oder hatten Feinde versucht in diesen Bereich einzudringen. Das wäre ihnen auch nicht gelungen, denn die oberste Tür, bei den Nischen mitten im Gebetsraum des Heiligtums, war geschlossen und bestand aus Eisen. Das war eine Abwehr, die gegen Dämonen vollkommen ausreichen würde, da das Metall sie aus einem unbekannten Grund ihrer Kräfte beraubte.
    Ardal wusste, dass die dritte Ebene hauptsächlich genutzt wurde, um Waffen und Ausrüstung der Flammenkrieger zu lagern. Da man mit dem Material Hunderte von Soldaten ausstatten konnte, es aber nicht mehr als einige Dutzend Bewaffnete zum Schutz des Heiligtums und der Priesterschaft gab, musste irgendjemand in der Vergangenheit mit einer längeren Belagerung gerechnet haben. Obwohl die Sachen schon Rost angesetzt hatten, waren sie nicht alt genug, um aus der Zeit der Dämonenkriege zu stammen. Abgesehen davon glaubte man seit jener Zeit, die Dämonen vernichtet zu haben, und in der Tat hatte man seit dreihundert Jahren keinen einzigen mehr gesehen, geschweige denn gefangen. Der Erwählte konzentrierte sich nur noch darauf, Jagd auf die Mischlinge zu machen, also ging auch er davon aus, es gäbe keine Überlebenden. Ganz verstand Ardal den erbitterten Feldzug nicht, die Mischlinge besaßen zwar mehr Kräfte als Menschen, aber sie hatten niemals sämtliche Fähigkeiten der Dämonen. Warum also wollte der Erwählte ihre Existenz auf der Insel vollkommen auslöschen? Wie man den alten Dokumenten entnehmen konnte, unterschied sich in diesem Vorgehen kein Erwählter von seinen Nachfolgern. Es war, als hätte man dieses Verlangen zusammen mit dem Flammenmuster in den Mantel des Oberhauptes eingewebt und so dafür Sorge getragen, dass der Träger dieses Kleidungsstückes einem unzerstörbaren Zauber unterlag. Wenn man’s recht bedachte, war es ebenfalls merkwürdig, dass der Mantel selbst nicht zu altern schien. Er war eines der wenigen Gewänder aus Seide, das noch aus den Anfangszeiten der Besiedelung stammte, und damals von den Dämonen als Willkommensgeschenk gewebt und an die Menschen übergeben worden war. Was für eine seltsame Fügung! Beinahe hätte Ardal aufgelacht, als

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