Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
Vom Netzwerk:
Muränen gab? Wie lange würde es dauern, bis sie jemandem das Fleisch von den Knochen gefressen hätten und der daran sterben würde? Diese Frage beschäftigte ihn, seit er von der Hinrichtungsmethode für die Nachkommen der Dämonen gehört hatte. Erst mochte er es kaum glauben, dann konnte er nicht fassen, dass man einem Menschen so etwas antat. Auf dem Land, erfuhr er später, wurden die Gefangenen bei lebendigem Leib verbrannt. Das war auch nicht besser. Es sind keine Menschen, sagten die Priester. Aber sie waren Mischlinge und hatten menschliches Blut in sich.
    Ab wann ist man ein Mensch?, überlegte Dallachar und beobachtete, wie eine Fischersfrau ihren kleinen Sohn tröstete, der über ein Tau gestolpert und hingefallen war. Sie verband ihm das blutende Knie mit einem Stück Stoff, das sie aus ihrem fadenscheinigen, oft geflickten Rock riss, und putzte ihm die Nase. Dann nahm sie ihn in den Arm und küsste ihm die Tränen aus dem Gesicht. Diese Geste erinnerte Dallachar schmerzhaft an unerfüllte Träume und er musste den Blick abwenden.
    »Sie werden ein neues Segelboot bauen.« Dídeans Stimme enthielt nicht ein Quäntchen Trost, hatte es nie enthalten, nicht einmal als er klein war. Stets war sie nüchtern und tat das, was gerade nützlich erschien. Seinen Gefühlsausbrüchen begegnete sie mit ruhigen Ermahnungen. Sie hatte klare Vorstellungen, wie ein Prinz zu sein und sich zu verhalten habe. Jeder am Hof glaubte, sie wäre seine Vertraute, weil sie nie von seiner Seite wich. Aber trotz seiner Jugend wusste Dallachar, dass es dafür am Wichtigsten mangelte. Manchmal war er drauf und dran sie zu fragen, ob ihr etwas an ihm lag. Doch dann fürchtete er die Antwort.
    »Es wird ein paar Monate länger dauern, aber nur aufgeschoben sein«, fuhr Dídean fort.
    »Es hat keine Bedeutung«, antwortete Dallachar tonlos und ohne Rücksicht darauf, ob sie die Lüge heraushörte. Wieder einmal war eine Hoffnung zerschlagen, eine Sehnsucht nicht erfüllt worden. Wer wusste schon, was sich seinem Wunsch, wenigstens ab und zu auf das Meer fliehen zu können, noch alles entgegenstellen würde. Er fühlte sich plötzlich so müde; zersplittert wie ein Stück Treibholz, das der Wind nach Belieben vor sich herschob, bis es ihn langweilte und er es irgendwo liegen ließ. Vielleicht wäre es nicht das Schlechteste, wenn man ihn nicht mehr beachten würde. Im Zentrum der Aufmerksamkeit zu leben war schwer. Aber er konnte sich kaum vorstellen, dass die Menschen in der Stadt aufhören würden all ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben in ihn zu setzen. Dafür war ihr Alltag viel zu elend und ihr Wunsch nach Veränderung zu deutlich zu spüren. Manchmal glaubte Dallachar, unter dieser Last zu ersticken. Niemals würde er die Menschen hier retten können. Er war schließlich nicht in der Lage, die Wolken beiseitezuschieben. Doch nichts weniger als das schienen sie zu erwarten. Dallachar legte den Kopf in den Nacken und schaute zur Stadt hinauf, die sich oberhalb des Hafens an die Klippen schmiegte. Die Häuser, aus Granit gebaut und mit Schiefer gedeckt, unterschieden sich kaum vom Grau des Himmels. Wie hatte dieser Ort früher ausgesehen, als er noch Wohnsitz der Dämonen gewesen war? Durch Zufall hatte Dallachar bei seinem Ausflug ins Archiv davon erfahren, als er in alten Schriften stöberte, die auf dem Pult eines Schreibers lagen. Leider hatte er es versäumt, den auskunftsfreudigen Mann danach zu fragen. Selten genug war jemand so offen und ohne Scheu. Dallachar hatte diese Begegnung und das Gespräch genossen. Er war der sonstigen Zurückhaltung und Ehrfurcht ihm gegenüber vollkommen überdrüssig. Nie hatte er sich für etwas Besonderes gehalten, und es war ihm ein Rätsel, wieso die Bewohner der Stadt dachten, er könnte einmal wirklich alles zum Guten wenden. Wenn Jalluth kein Einsehen hatte und die Insel von Missernten geplagt wurde, wie sollte da ein Mensch in der Lage sein, das Wetter zu beherrschen? Aber so wenig, wie seine Mutter, die Königin, oder der Erwählte, als heimlicher Herrscher, etwas daran ändern konnten, so sehr richteten sich alle Augen auf ihn, den Thronfolger. Die Menschen erwarteten ein Wunder von ihm, das hatte er oft genug in den Gängen des Palastes flüstern hören. Hunger lässt den Glauben in merkwürdige Richtungen wachsen, dachte er resigniert.
    »Wir müssen zurück, mein Prinz. Es wird bald regnen.« Dídean schaute nicht nur den Himmel, sondern auch ihn prüfend an.
    Dallachar fühlte

Weitere Kostenlose Bücher