Die Flammen der Dunkelheit
hatte ihn wieder einmal nicht kommen hören, aber jetzt stand er dicht hinter ihr, und sie konnte seinen Atem im Nacken spüren, als er sagte: »Ihr habt einen Dämon geliebt, ekelt Euch nicht?«
Aurnia überlegte fieberhaft, was sie darauf erwidern sollte. Sie erkannte die Lüge, und das Spiel, das er mit ihr trieb, hatte sie jetzt durchschaut. Gespürt hatte sie es schon immer, aber erst in diesem Kerker sah sie es in aller Deutlichkeit. Vielleicht hatte ihr der Schock endgültig die Augen geöffnet. Aurnia fühlte sich verantwortlich für Brones Schicksal, nur ihretwegen hatte man sein Leben und ihn selbst zerstört. Sie musste dem geliebten Mann – und geliebt würde er immer sein! – ein Zeichen geben, dass sie nicht auch noch Verrat an ihm beging, denn das war es, was der Erwählte mit seiner Frage erreichen wollte.
Plötzlich kam ihr der rettende Einfall. Auf dieses neue Spiel wäre der Erwählte nicht vorbereitet! Es gab den Hauch einer Chance, dass er ihr glaubte, wenn sie nur gut genug war. Schnell holte sie sich die Erinnerungen an die Krankheit der Mutter ins Gedächtnis zurück. Als Aurnia zwölf Jahre alt gewesen war, hatte das merkwürdige Verhalten ihrer Mutter begonnen, wurde zusehends schlimmer und endete mit dem Tod zwei Jahre später. War jene Verrücktheit für die Tochter damals nur furchtbar peinlich, so erwies sie sich jetzt als nützlich. Es war auch durchaus nicht abwegig, dass es in der Familie lag. Aurnia setzte alles auf diese eine Karte.
»Ich werde es sicher nie vergessen, so wie die gelbe Blume«, sagte sie mit großem Ernst. Dabei legte sie den Kopf schief und setzte ein entrücktes Lächeln auf.
»Wovon redet Ihr?« Der Erwählte schaute sie misstrauisch an.
»Von der Hoffnung auf Sonne in dunkler Nacht.« Ganz bewusst klopfte sie dem Erwählten vertraulich auf den Arm und lächelte nun auf eine merkwürdig verzerrte Art. Unwillkürlich wich er zurück, doch sie rückte auf, sah ihm direkt mit aufgerissenen Augen ins Gesicht. »Wusstet Ihr, dass das Licht der Juwelen kalt auf der Haut ist? Seit ich das erfahren habe, träume ich von der gelben Blume. Sie begleitet mich Tag und Nacht und schenkt mir Kraft. Ich werde auf sie warten und alles dafür tun, dass sie wieder erblüht.«
»Ihr seid verrückt!«, stieß der Erwählte hervor und trat noch einen Schritt zurück.
Er hat Angst vor Berührung!, dachte sie erstaunt. Endlich hatte sie eine Schwäche an ihm entdeckt, beinahe hätte sie triumphierend aufgelacht. Doch sie hatte sich schnell wieder im Griff und begann die nächste Runde.
»Das hätte ich früher auch gesagt! Aber ich habe mich verändert!«, sagte Aurnia in eifrigem Tonfall und mit Kleinmädchenstimme. Dann wechselte sie abrupt den Gesichtsausdruck und lächelte wieder auf eine entrückte Weise. Dabei ging sie erneut auf den Erwählten zu. »Habt Ihr schon die gelbe Blume gesehen? Nein?« Sie blieb plötzlich stehen und ließ ihr Gesicht zu einer verzerrten Maske des Entsetzens werden. Dann zeigte sie auf seinen Mantel und kreischte: »Ihr werdet verbrennen! Seht doch, die Flammen züngeln schon an Euch hoch.« Im nächsten Moment hatte sie den Umhang ergriffen und zog daran.
Hastig machte er sich los und rief: »Lasst uns gehen. Ihr seid nicht mehr bei Sinnen!«
»So könnt Ihr mit einer Königin nicht reden! Das sage ich meiner Blume!« Aurnia zog jetzt eine übertrieben empörte Miene, drehte sich um und marschierte davon, ohne sich noch einmal nach dem Gefangenen umzusehen. Der Anblick würde sie auch so ihr ganzes Leben nie mehr loslassen.
Sie konnte sich später weder erinnern, wie sie aus dem Kerker heraus- und den Weg zum Palast zurückgefunden hatte, noch, ob der Erwählte oder sonst jemand ihr gefolgt war. Sobald sie in ihrem Gemach angekommen war, verriegelte sie die Tür hinter sich. Endlich allein, brach sie zusammen. Doch Tränen brachten keine Linderung für den Schmerz und ließen Aurnia das Grauen im Kerker auch nicht vergessen. Immer wieder quälte sie die Frage, ob Brone die geheime Botschaft verstanden hatte.
Hier in ihrem Zimmer konnte sie kaum glauben, wie sie sich verhalten hatte. Woher hatte sie nur den Mut genommen, dem Erwählten die Stirn zu bieten? Noch eigenartiger war, dass sie keine Angst mehr spürte, die Verzweiflung über das Gesehene schien alles zu überdecken. Doch als sie später versuchte sich zusammenzureißen und wieder in die Rolle als Königin zu schlüpfen, scheiterte sie kläglich. Es war ihr unmöglich, in den
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