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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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wieder gegangen, nachdem ich den Brief übergeben hatte.« Dervla verkniff sich mühsam ein Seufzen, während sie Aurnia die Haare flocht und mit edelsteinbesetzten Nadeln hochsteckte. Warum mussten sie diese Geschichte jeden Tag mehrmals durchsprechen? Sie war schon angespannt genug. Warum ließ sich der Erwählte so lange Zeit? Was, wenn der Maler hier am Hof auftauchte und ihre Lüge aufflog? Nach dem Vorfall mit den Soldaten traute sie sich nicht mehr in die Nähe seines Hauses, und so vorsichtig sie sich auch erkundigt hatte, niemand konnte etwas über Brone erzählen. Zwar waren schon viele Menschen ohne Zeugen spurlos verschwunden, aber in diesem Fall würde sie doch sicherlich benachrichtigt werden. Schließlich hatte sie Brones Flucht vereitelt, zumindest hoffte sie das. Ob der Erwählte ihr vielleicht übel nahm, dass sie das Siegel gebrochen und den Brief gelesen hatte? Ihr Herz schlug augenblicklich schneller. Wie hätte sie sonst wissen sollen, dass etwas Wichtiges darin stand und sie ihn unbedingt abliefern musste?, versuchte sie sich zu beruhigen. Immerhin hatte der Erwählte sie laufen lassen.
    »Was ist heute mit dir?«, fragte Aurnia plötzlich und sah ihre Zofe forschend an.
    Dervla erschrak, sie hatte nicht bemerkt, dass sie von Aurnia in einem Handspiegel beobachtet wurde. Sie musste aufhören einfach ihren Gedanken nachzuhängen, das war zu gefährlich!
    »Meine Mutter …«, murmelte sie und verstummte. Was sollte sie bloß so schnell erzählen? Doch Aurnia forderte keine Fortsetzung ein, Mütter interessierten sie nicht. Sie wünschte sich nur allein zu sein, jetzt da die lästige Arbeit mit ihren Haaren endlich fertig war.
    »Du kannst gehen«, sagte sie, vielleicht etwas zu scharf, denn das Mädchen senkte betroffen den Kopf. Aber Aurnia wollte sich jetzt auch nicht um die Gefühle anderer kümmern, ihre eigenen waren viel zu sehr in Aufruhr.
    Kaum hatte die Zofe das Zimmer verlassen, sprang Aurnia auf und wanderte ruhelos umher. Die Frage, ob Brone die Flucht gelungen war, beschäftigte sie unablässig. Sicher hatte er die Dringlichkeit ihrer Zeilen verstanden und war sofort aufgebrochen. Jeder wusste, dass es den Tod bedeutete, wenn man beschuldigt wurde, Dämonenblut in sich zu tragen. Aber er hatte kein Pferd und die Flammenkrieger waren beritten. Hoffentlich hatte er daran gedacht und den Weg über das Moor eingeschlagen, ein unwegsames Gelände, das man nur zu Fuß durchqueren konnte. Aurnia blieb am Fenster stehen. Die Wolken hingen tief, aber es regnete nicht. Ob sie ihn jemals wiedersehen würde? In ihr war eine ungeheure Sehnsucht. Sie hatten sich nie berührt, dennoch empfand sie so viel Zärtlichkeit, wenn sie an ihn dachte, dass sie sich mit ihm verbunden fühlte, selbst jetzt, während sie keine Ahnung hatte, wo er sich aufhielt. Der einzige Trost war die wunderschöne gelbe Blume, die er für sie gemalt hatte, aber sie wagte nur noch nachts, sie aus dem Versteck zu holen und zu betrachten. Sie wollte nicht mehr riskieren, dabei überrascht zu werden.
    Ein Klopfen an der Tür riss sie aus den düsteren Gedanken. Vermutlich wollte sie wieder jemand überreden, zu ihrem dreißigsten Geburtstag ein großes Fest zu veranstalten. Bisher hatte Aurnia jeden Vorschlag abgelehnt, ihr war nicht nach Feiern zumute! Aber statt der Höflinge traten drei Flammenkrieger ein.
    »Der Erwählte erwartet Euch im Heiligtum. Allein!«, sagte der Anführer. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er Widerspruch im Keim ersticken würde.
    Wütend über den unverschämten Befehl und zugleich voller Angst rief Aurnia nach einer Dienerin, die ihr in den Mantel half. Umrahmt von den Soldaten machte sie sich auf den Weg. Einen Wagen oder wenigstens ein Pferd wollten ihr die Flammenkrieger nicht gestatten. Sie hatten es eilig. Aurnia war unsicher, ob sie zu ihrem Schutz oder zu ihrer Bewachung begleitet wurde. Wer ihnen begegnete, sah der Königin mit offenem Mund nach. Neugier stand deutlich auf den Gesichtern der Untertanen geschrieben. Sie konnte es ihnen nicht verdenken, nie war sie ohne Hofstaat in den Gassen der Stadt unterwegs gewesen. Mit jedem Schritt wuchs ihr Zorn, aber auch ihre Furcht.
    Als sie das Heiligtum betraten, fiel die schwere Tür mit einem lauten Krachen hinter ihnen zu. Das Geräusch hallte durch den hohen Raum. Die wenigen betenden Menschen drehten erschrocken die Köpfe herum. Aurnia ging rasch an den schlichten Bänken vorüber, die man für die Bewohner der Stadt

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