Die Flammen der Dunkelheit
zahlen.
Zwei Tage später schien es Aurnia, sie müsse die Rechnung begleichen. Diesmal hatte der Erwählte nicht in ihrem Zimmer auf sie gewartet, sondern sie von Bediensteten aufspüren und in den Thronsaal bringen lassen. Er war auch nicht allein, der ganze Raum war voller Flammenkrieger und Höflinge. Ganz gegen seine Gewohnheit sprach er sofort, nachdem die Türe hinter ihr wieder geschlossen war: »Ihr werdet heiraten und dem Volk einen Thronfolger schenken.«
Mit aller Kraft zwang sich Aurnia, keine Miene zu verziehen. Sie sah seine Entschlossenheit, ihre Worte mussten ihm Angst eingejagt haben. Aber was genau hatte ihn so verunsichert? Sie spürte, dass sie an etwas Wichtiges gerührt hatte. Welche Geheimnisse trug dieses Ungeheuer mit sich herum? Sie bemerkte die Verwirrung in den Gesichtern der Bediensteten, welche die Vorgeschichte nicht kannten.
Der Erwählte deutete auf einen seiner Flammenkrieger. »Dies wird Euer Gemahl!«
Aurnia kannte den Mann. Er hieß Mórtas und hatte früher im Haus ihres Vaters verkehrt, sie hielt ihn für einen Speichellecker. Nachdem er bei Hofe nie auf eine wichtige Position gelangt war, hatte er vor einigen Jahren alle mit einem Wechsel zu den Flammenkriegern überrascht. Doch auch dort hatte er es nur bis zum Stellvertreter des obersten Befehlshabers geschafft. Ihm fehlte nach Aurnias Meinung das entscheidende Quäntchen Mut und Verstand, um ganz an die Spitze zu gelangen. Wenn er endlich sein Ziel erreichte, würde der Erwählte sich der Dankbarkeit des Soldaten sicher sein können. Fieberhaft überlegte sie, was sie tun sollte. Wie konnte sie diese neue Lage für sich nutzen? Ein kühner Gedanke formte sich in ihrem Inneren. Es schien gewagt, aber was hatte sie zu verlieren!
»Welch kluge Entscheidung, auf diese Weise unserem Volk neue Hoffnung zu geben!«, sagte Aurnia und hoffte, man würde ihrer Stimme nicht anhören, was sie wirklich empfand. »Seid Euch meiner Unterstützung gewiss.«
Sie begann auf und ab zu gehen, um nicht den zufriedenen Ausdruck des Erwählten sehen zu müssen. So hoheitsvoll und entschieden, wie es ihr möglich war, fuhr sie fort: »Seht Euch um. Es gibt mehrere gute und geeignete Männer für diese Aufgabe. Ausgezeichnete Männer, die mich in den vergangenen Jahren nach Kräften unterstützt und die sehr viel Erfahrung haben!« Nicken und Raunen im Saal zeigte ihr, dass sie große Zustimmung fand, ja auf Begeisterung traf. Es war selten, dass sie ihre Anerkennung zum Ausdruck brachte. Der Erwählte wusste bestimmt, dass es ungünstig wäre, den gesamten Hof gegen sich aufzubringen, wenn er jetzt widerspräche und Hoffnungen im Keim erstickte.
Mit einem Lächeln fuhr Aurnia fort: »Doch bevor ich mich für einen Gemahl entscheide, möchte ich ihn ein wenig besser kennenlernen. Gestattet mir also ein Gespräch mit jenem, den Ihr als ersten Kandidaten vorschlagt – allein!« Sie wartete auf keine Antwort, sondern befahl zwei der Mädchen, in ihrem eigenen kleinen Empfangsraum einen Tisch für zwei zu decken, um gleich darauf den verdutzten Flammenkrieger unterzuhaken und mit sich zu ziehen. Im Hinausgehen sah sie die Wut im Blick des Erwählten, doch er ließ sie ziehen. Diese Runde hatte sie für sich entschieden.
Während des Essens versuchte Aurnia unterhaltsam zu sein, um den Mann einzuwickeln. Sie plauderte von alten Zeiten, ihrem Vater oder interessanten Begebenheiten bei Hofe. Hin und wieder gelang es ihr sogar zu scherzen. Als sie merkte, dass Mórtas sich entspannte, wagte sie den nächsten Vorstoß.
»Neben mir auf dem Thron würdet Ihr eine Menge Vorteile gewinnen. Die Frage ist nur, was werde ich davon haben?«, sagte sie mit dem reizendsten Lächeln, das sie aufbringen konnte.
Mórtas schaute überrascht, doch er fasste sich schnell. »Einen Erben!«, antwortete er.
Aurnia zog die Augenbrauen hoch. »Oh, das ist, was der Erwählte will und nicht zu vergessen unser Volk!«
»Ihr erstaunt mich. Entspricht das nicht auch Eurem Willen? Ihr seid dem Erwählten doch stets gefolgt.«
»Er besitzt die Gabe der Überredungskunst«, sagte sie und blinzelte verschwörerisch. Dann lehnte sie sich zurück und entschied sich für einen herrischen Ton. »Es geht mir nicht um den Erben, sondern um meinen zukünftigen Gemahl. In diesem Punkt kann der Erwählte mich zu nichts zwingen. Niemand würde es gutheißen, wenn Ihr mir Gewalt antut. Solange ich willens bin, einen der ihren zu erwählen, wird der Hofstaat meine Seite einnehmen wie
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