Die Flammen der Dunkelheit
und sagte kein Wort. Nach einer langen Zeit drehte er sich um und schaute sie von oben bis unten an.
»Ihr solltet mehr auf Euer Äußeres achten!« Sein missbilligender Ton prallte an Aurnia ab.
Sie betrachtete ihr Spiegelbild in der Scheibe, sah die wirren, weiß gewordenen Haare, die tiefen Falten um den Mund, die einen merkwürdigen Kontrast zu ihrem immer noch jungen Gesicht bildeten. Das zerknitterte, mit Flecken übersäte Kleid nahm sie nicht wahr.
»Das ist Euer Werk, Ihr müsst stolz auf Euch sein!«, sagte sie abwesend.
»Ihr seid für Euren Zustand selbst verantwortlich«, erwiderte der Erwählte scharf und trat zwei, drei Schritte auf sie zu, als wollte er sie genauer untersuchen. »Es gibt keinen Grund, Euch so gehen zu lassen. Ihr seid zu einer Schande für das Volk geworden, statt Königin zu sein!«
Aurnia zwang sich, weiterhin ins Leere zu starren, um ihm nicht die verhassten Augen auszukratzen. Alles in ihr weigerte sich, dem Erwählten die Achtung zu zollen, die ihm seiner Meinung nach gebührte.
»Ich bin nicht mehr die Alte. Das habt Ihr doch gewiss bemerkt!«, brach es aus ihr heraus. Noch immer sah sie an ihm vorbei und hatte daher keine Ahnung, wie er ihre Sätze aufnahm.
Doch seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, als er drohend sagte: »Das ist auch anderen aufgefallen! Gebt acht, dass sie die Ursache nicht in Eurem Blut vermuten!«
Aurnias Kopf fuhr herum und sie stellte sich der Ansicht dieser widerlichen Gestalt. Der kalte Blick ihres Gegenübers schien sie aufspießen zu wollen. Seit man Dallachar als Dämonenabkömmling entlarvt hatte, versuchte der Erwählte sie damit unter Druck zu setzen. Aurnia war die ständigen Anspielungen leid, und sie spürte, wie der Zorn, den sie so viele Jahre mühsam unterdrückt hatte, unaufhaltsam in ihr hochstieg. Bevor sie sich auf die Zunge beißen konnte, sprudelten die Worte aus ihrem Mund.
»Oh ja, inzwischen weiß jedes Kind, wie leicht man in den Verdacht gerät, Dämonenblut in sich zu tragen! Habt Ihr einmal überlegt, dass die Menschen vielleicht Euch für einen Dämon halten könnten?«
Ihre unverfrorene Rede ließ den Erwählten erstarren, sein Gesichtsausdruck wirkte wie versteinert.
»Seht Euch vor, dass ich Euch nicht dessen anklage!«, sagte er schließlich lahm.
»Nur zu!«, tönte Aurnia. Sie weigerte sich, klein beizugeben. Ihr Vorrat an Geduld und Unterwürfigkeit war erschöpft. »Ich habe nichts mehr zu verlieren. Habt Ihr das bedacht? Aber das Wichtigste ist, ich habe keine Angst mehr vor dem, was Ihr mir antun könntet, denn das Schlimmste habt Ihr bereits getan. Nehmt mich mit in Eure Kerker, foltert mich zu Tode!«
Sie schob das Kinn vor und hielt seinem forschenden Blick stand. Mutig sprach sie weiter. »Doch überlegt Euch vorher, was Ihr dem Volk erzählt und wie Ihr es regieren wollt, so ganz ohne ein legitimes Mitglied des Königshauses oder einen Thronfolger.« Aurnia merkte, dass sie endgültig nicht mehr in der Lage war, sich zu beherrschen. Ihre Wut musste heraus oder sie würde auf der Stelle daran ersticken.
»Merkt Ihr nicht, wie es in den Menschen brodelt? Es genügt ein Funke und sie werden das Heiligtum stürmen und die gesamte Priesterschaft von den Zinnen werfen!« Sie machte eine kurze Pause, um die Wirkung ihrer Worte zu überprüfen. Die Miene ihres Gegners war immer noch wie eingefroren. Bevor er sich erholen konnte, holte Aurnia zum letzten Schlag aus. Während sie weiterredete, ging sie mit ihrem erprobten, seltsamen Lächeln langsam auf ihn zu.
»Vermutlich habt Ihr nicht begriffen, dass es nur noch eine Möglichkeit gibt, Eure Macht zu erhalten: Ihr müsst mich schwängern!« Wie sie erwartet hatte, wich der Erwählte zurück. Fast hätte sie kichern müssen, als sie sein entsetztes Gesicht sah.
»Ihr, Ihr seid verrückt …«, stammelte er und dann geschah etwas, das sie nie für möglich gehalten hätte: Er stürzte aus dem Raum. Aurnia sah blinzelnd auf die Tür, die er in der Eile offen gelassen hatte. Wie eine Schlafwandlerin machte sie die Tür wieder zu, schloss sie ab und ging zum Fenster. Bald darauf sah sie ihn über den Hof hasten. Der Flammenmantel wehte hinter ihm her. Gleich darauf folgten seine Flammenkrieger, nicht ganz so geordnet wie sonst. Als der Erwählte durch das große Tor verschwand, begann Aurnia so sehr zu lachen, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Sie hatte den Erwählten in die Flucht geschlagen! Für diesen Anblick war sie bereit, jeden Preis zu
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