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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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im niederströmenden Wasser, schon lange hatte es keine Ernte mehr gegeben. Die Bewohner machten die Königin für den Hunger verantwortlich und auch die nicht enden wollenden Durchsuchungen kreideten sie ihr an. Sogar die Blicke der eigenen Bediensteten waren feindselig geworden, nur Dervla hielt zu ihr. Aurnia konnte es ihnen kaum verdenken, schließlich dachte jeder, sie würde das Vorgehen des Erwählten gutheißen. Niemand wusste, was wirklich in ihrem Kopf vorging, und viele hielten die Königin ohnehin für verrückt. Doch das war falsch, obwohl es den Anschein hatte, das musste sie selbst zugeben. Ändern wollte und konnte sie ihr seltsames Verhalten nicht, es war auch Schutz und verschaffte Aurnia eine gewisse Narrenfreiheit. Noch war sie unter dem ungeheuren Druck nicht zerbrochen, der auf ihr lastete. Sie hatte bislang keinen Weg gefunden, die Schreckensherrschaft der Jalluthiner zu beenden und das Volk zu befreien. Aber aufgeben würde sie nie!
    Um sich in ihrer Ohnmacht Erleichterung zu verschaffen, musste sie in Bewegung bleiben, sobald sie nichts mehr zu tun hatte. Sonst wurde das Gefühl in ihr übermächtig, lebendig begraben zu sein. Solange die Füße sie trugen, wanderte Aurnia durch die Flure und Zimmer des Palastes. Unterwegs löschte sie jede Kerze, die sie erblickte, selbst die Feuer in den Kaminen versuchte sie auszutreten. Die Bediensteten verzweifelten fast an der Aufgabe, sie davon abzuhalten, und die größte Befürchtung war, dass die Königin ihre Kleider in Brand setzen und verbrennen könnte. Aurnia aber schien niemanden wahrzunehmen. Sie sah durch jeden hindurch, der ihr entgegentrat. Nicht einmal mehr Dervla gelang es dann, sie zu erreichen.
    »Ein Dämon, ein Dämon …«, flüsterte Aurnia ununterbrochen. Jeder ging davon aus, dass sie ihren Sohn meinte.
    Doch Aurnia hatte schon vor Jahren eine andere Quelle der Grausamkeit erkannt. Die Flamme Jalluths war für sie zum Sinnbild der Hölle geworden und sie zweifelte, ob die sogenannten Dämonen so entsetzlich sein könnten. Die Gesichter aller Menschen, die sie je gequält hatten, flossen zu einem einzigen zusammen: dem des Erwählten. Hatte sie geglaubt, ihren Vater zu hassen für die Schläge und Demütigungen, die sie als Kind erdulden musste, so war dies nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das sie für den Oberpriester empfand.
    Gab es etwas, das noch stärker war als Hass?, fragte sie sich. Was sie empfand, hätte sie als solchen nicht bezeichnet, denn für sie war es mehr. Wäre die Gelegenheit vorhanden, würde sie den Erwählten, ohne zu zögern, mit bloßen Händen in Stücke reißen, dessen war sie sicher.
    Mehr als einmal war sie versucht gewesen, den Mann nach Brones Schicksal zu fragen. Ob er noch lebte? Sechs Jahre waren eine lange Zeit! Trotzdem glaubte sie daran, dass der Erwählte ihn noch nicht hatte töten lassen. Vielleicht war es auch nur eine Hoffnung, mit der sie versuchte, ihre Einsamkeit erträglicher zu machen. Andererseits, solange der Erwählte auch nur vermutete, dass er Brone als Druckmittel gegen sie benutzen konnte, würde er den Maler in den Kerkern festhalten. Er hatte sonst kaum etwas gegen sie in der Hand. Wenigstens ließ er sich seltener im Palast blicken. Sie fragte sich manchmal, was er wohl in seinem Heiligtum trieb? Ob er selbst Hand anlegte bei den Folterungen? Oder traute er sich bloß nicht mehr unters Volk und versteckte sich hinter den dicken Mauern? Das wäre gut möglich, schließlich war er nur noch mit einer Eskorte von Flammenkriegern unterwegs anstatt alleine wie früher. Ihm war sicher nicht entgangen, dass es unter der scheinbar ruhigen Oberfläche gärte. Es würde leicht gelingen, einen Aufstand in Gang zu setzen. Würde er nicht so viele Leben kosten, hätte Aurnia ihn gerne selbst angezettelt.
    Als sie nach dem nächsten Rundgang ihr eigenes Zimmer betreten wollte, standen vor der Tür noch mehr Flammenkrieger als sonst Spalier, und sie wusste, wer drinnen auf sie wartete. Unwillkürlich wollte sie abdrehen, doch das hätte wenig genützt. Vielleicht war es auch besser, wenn das Treffen ohne Zeugen verlief. Sie hatte längst bemerkt, dass sie sich mehr herausnehmen konnte, wenn er nicht fürchten musste, seine Autorität vor anderen zu verlieren. Also versuchte sie, die Übelkeit nicht zu beachten, die sie sofort überfiel, wenn sie ihm begegnete, und trat entschlossen ein. Wie gewöhnlich stand er am Fenster und drehte ihr den Rücken zu. Aurnia blieb ihm gegenüber stehen

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