Die Flammen von Lindisfarne
gelang Thorsten, dem tüchtigsten Bauern von Ringan, die Getreide-Säcke beiseite zu schaffte, bevor das Feuer, das sich durch Funkenflug von der Kirche her auf die anderen Gebäude ausbreitete, auch auf die Scheune und die anderen Wirtschaftsgebäude übergriff.
Mit den kostbaren Handschriften im Scribtorium und der Bibliothek konnte Haakon nichts anfangen. Und deswegen tadelte er Ragnar nicht, als dieser mit überschäumender Kraft den Hammer sausen ließ und es danach in diesen Stätten der Gelehrsamkeit so aussah, als sei ein Wirbelsturm hindurchgezogen.
Die Schatzkammer, die von Ragnar ungestümer Gewalt erbrochen wurde, ließ der Jarl jedoch durch zuverlässige Krieger rasch ausräumen und die Kostbarkeiten sofort zum Schiff bringen. Er dachte daran, welche Mengen an Eisen alleine ein Kelch eingebracht hatte. Vielleicht gab es in Frankenland mehr so dumme Kaufleute, die man übertölpeln konnte. Er würde Sigurd danach fragen. Andernfalls konnte man den wertlosen Plunder immer noch in den Fjord werfen.
Aber da gab es einen Gegenstand, den er suchte. Den Namen hatte er vergessen, doch Ragnhild Drachenzahn hatte ihm vor der Abfahrt ständig in den Ohren gelegen, nach so einem Dinge Ausschau zu halten. Wandernde Händler hatten ihr berichtet, dass dieser Gegenstand auch in Britannia keine Seltenheit sei.
So ein Ding sollte wie ein kunstvoll geknüpfter Teppich die Wand eines Hauses zieren. Doch statt des eingestickten Bildes sollte man darin sein eigenes Gesicht sehen. Und das heller und klarer, als man es in hellen Sommertagen im stillen Wasser des Weiher erblickte. Jarl Haakon wusste, dass er trotz des triumphalen Sieges als Ehemann in nächster Zeit keinen guten Tag mehr haben würde, wenn es ihm nicht gelang, solch ein Ding aufzutreiben. Er kannte Ragnhild und ihren Drachenzahn, der unerträglich an den Nerven eines Mannes nagen konnte.
So stapfte Haakon Bärensprung mit dem blanken Schwert in der Faust durch das Kloster und spähte, ob er nicht irgendwo einen Spiegel fände...
Während, der Jarl, den Zorn seines Weibes fürchtend, das Kloster durchsuchte, war es Erik gelungen, mit Hilfe der Axt einen Weg in die Freiheit zu finden. Dem Nordmann, der ein Mönch geworden war, hatte die Tür zu seiner Zelle einfach aufgeschlagen. Und rasch waren Angela und Erik auf dem Gang. Bei dem Lärm und dem Durcheinander achtete niemand auf ihre Flucht. Einige Wikinger, die beute-beladen durch den Kreuzgang liefen, nahmen gar nicht wahr, dass man hier nicht ein- , sondern ausbrach.
„Ha, endlich einmal einer der Geschorenen, der eine Axt führt!“ schrie Thorsten Elchnase begeistert, als Erik im Kreuzgang vor ihm auftauchte.
„Verschwinde! Lauf um dein Leben, Mädchen“, stieß Erik zwischen den Zähnen hervor und schob Angela beiseite. Unschlüssig sah ihn das Mädchen an.
„Rette dich, ich decke dir den Rückzug!“ zischte ihr Erik zu, in dessen Inneren das jahrelange Mönchtum mit der Ur-Natur des Nordmannes kämpfte. „Wenn meine Leute im Blutrausch sind, werden sie unberechenbar. Es gibt Schlimmeres als den Tod, was sie dir antun können.“
„Gott schütze dich“. Angela begriff, dass sie hier nichts tun konnte. Denn der alte Mönche würde dem rasende Nordmann nicht viel entgegen setzen können. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie sich vorstellte wie es wäre, wenn sie so ein bärtiger Hüne zu packen bekam.
Mit beiden Händen das Schwert umklammernd lief sie in Richtung zum Ausgang. Nur ein kurzen Moment später hörte sie gellende Schreie aus dem Refektorium. Es waren weibliche Stimmen und Angela wusste, dass die Wikinger nun ihre Gefährtinnen gefunden hatten. Sie vermochte selbst nicht zu sagen, warum sie nicht floh, sondern dorthin lief, von wo die Entsetzens-schreie kamen.
Unterdessen trafen sich zwei Streitäxte in der Luft. Durch den Anprall wurde Erik zurückgeschleudert und glitt auf dem Steinboden aus. Den rückwärts fallenden Körper verfehlte die Schneide der niederfallenden Axt, die ihn sonst vom Schädel herab gespalten hätte.
„Steh auf!“ grollte Thorsten. „Du hast den Mut gehabt, dich zu wehren. Du sollst sterben wie ein Krieger. Vielleicht nimmt dich Odin dann auf, obwohl du ein Mönch bist!“
„Nur die Nornen wissen, über wem von uns unsichtbar die Walküre schwebt“, kamen ungewohnte Worte unter einem geschorenen Haupt hervor. Der Wikinger zuckte zusammen, als er diese Worte in seiner eigenen Sprache hörte.
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