Die Flammen von Lindisfarne
jeder zwei goldene Messkelche mit der Kraft ihrer Fäuste so zusammengedrückt, dass man sie bequem in den Gürtel stecken konnte. Die größeren Beutestücke zum Schiff zu schleppen war Sache der jüngeren Krieger. So waren die beiden stärksten Männer von Ringan noch einmal durch die Räume des Klosters gezogen, um Nachlese zu halten.
„Sieh mal, unser Skalde arbeitet“, grunzte Ragnar, als er Olaf Metkanne sah, wie er mit der Axt gegen eine Tür schlug. Mit Björn schlenderte er durch den Kreuzgang des Klosters. Dass der Baumfäller dabei einen hölzernen Eimer mit sich schleppte, im dem süß-duftender Messwein schwappte, verwunderte niemanden der im Siegestaumel rasenden Wikinger. Ein guter Trunk bei der Arbeit hatte noch niemals geschadet. Besonders Ragnar und Björn waren dafür bekannt, dass sie unglaubliche Mengen an Rauschtrank in sich hinein schütten konnten.
„Ho, Metkanne, wollen wir nicht beim Baumfällen in Wettstreit treten?“ fragte Björn gutmütig. „Komm, nimm einen Trunk! Das kühlt den Körper und gibt Kraft!“ Damit hielt er Olaf den vollen Eimer vor die Nase. Und der Zug, den der Skalde machte, tat seinem Beinamen alle Ehre. Zufrieden rülpsend und sich mit der Zunge die im Bart klebenden Tropfen ableckend, gab Olaf den Eimer zurück.
„Und jetzt ran!“ grollte Ragnar. „Wer saufen kann, der kann auch arbeiten! Einige kräftige Hiebe...!“
Im nächsten Augenblick splitterte es, als Olaf mit aller Kraft die Axt gegen das Schloss schmetterte. Unterhalb des Blattes war der Stiel der Waffe zerbrochen und die scharfe Schneide wirbelte durch die Luft. Trotz der genossenen Alkoholmenge wich Björn geistesgegenwärtig zur Seite, als die scharfe Seite des Axt-Blattes auf ihn zuraste. Doch statt in seinen Körper bohrte sich die Axt in das Holz des Wassereimers. Sofort entstand ein Leck, aus dem der Wein heraus schoß.
„Haaaa!“ gröhlte Ragnar entsetzt. „Da gehen sie hin, die guten Gaben Odins!“ Sofort warf er sich rückwärts auf den Boden, dass sein geöffneter Mund unter den roten Weinstrahl kam und der edle Trank in ihn hinein laufen konnte.
Erstaunt sah Olaf Metkanne, dass Ragnar offensichtlich überhaupt nicht schluckte und der Wein zwischen seinen Lippen verschwand, als habe man ihn in ein tiefes Erdloch geschüttet. Schnell war der Skalde auf den Knien und unterbrach gelegentlich den Strahl mit geöffneten Handflächen, um noch einen Teil des gelobten Nasses zur Befeuchtung der Kehle zu ergattern. Dass bei er Unterbrechung des Strahls eine ganze Weindusche dem Hammer ins Gesicht pladderte und dieser ihn deshalb eine Wildsau nannte, störte ihn nicht im Geringsten. Björn Baumfäller war von der Situation so fasziniert, dass er vergaß, den Eimer anzuheben und sich selbst zu bedienen.
Schließlich versiegte der rote Strom aus dem Leck des Eimers. Mit einer Verwünschung schleuderte Björn den jetzt nutzlosen Gegenstand mit solcher Wucht durch den Kreuzgang, dass er an einem der Pfeiler zerbarste und der weiße Kalk von den verbliebenen Weinresten rot gesprenkelt wurde.
„So, und jetzt wollen wir mal sehen, was hinter der Türe ist“, schmatzte Ragnar und leckte sich den Wein von den Händen, den er sich aus dem Gesicht gewischt hatte. Dann hob er den gefürchteten Hammer. Wie Thor selbst schlug er zu - und wie der Donnergott schlug auch Ragnar stets nur einmal.
Kreischend zersprang das kunstvolle Türschloss samt dem Riegel und die Tür wurde nach innen geschlagen. Aufflackerten die Kerzen im Inneren der kleinen Kammer durch den eindringenden Luftzug. Und das schummerige Licht enthüllte den Wikingern drei angst-schlotternde Gestalten im Inneren. Dennoch ließen die auf den Dochten hüpfenden Flämmchen die Goldverzierungen und die aufgenähten Juwelen der Gewänder wie funkelnde Sterne er-glänzen.
Baubo in der Mitte der Göttergruppe bemühte sich, aufrecht stehen zu bleiben, obwohl ihm die Beine vor Angst den Dienst versagen wollten. Seine beiden fast fleischlosen Hände verkrallten sich im Schaft des Hirtenstabes, den sonst der Bischof führte. Den beiden Gefährten in den anderen kostbaren Messgewändern ging es nicht viel besser. Wenn sie wenigstens verstanden hätten, was diese wilden Nordlandbarbaren redeten.
„Bei Odin! Die Christengötter!“ stieß Olaf verblüfft hervor, als er die drei Greise in den Prunk-Gewändern sah.
„Aber sie sehen alle so alt aus wie der Vater-Gott“, zweifelte Björn. „Der
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