Die Flammen von Lindisfarne
unterwerfe ich mich dir, dem Sieger“, erklärte Widar. „Angantyr ist besiegt und Grymgard zerstört. Hier ist ein karges Land und der Winter steht vor der Tür. Alleine in dieser Einöde mag ich nicht leben, da der Mann, der mir ein Vater war, von mir gegangen ist. Nimm mich mit dir, Wolfssohn. Du gewinnst einen Knecht, wie du einen Freund gewinnst.“
„Du bist mir wirklich nicht gram, dass ich Sven Blutaxt getötet habe?“, fragte Lars und sah ihn von der Seite an.
„Dieser Kampf war die letzte Möglichkeit seines Lebens, wie ein Nordmann zu sterben“, sagte Widar mit feierlicher Stimme. „Du hast ihm durch den Schwerttod die Tür zu einem anderen Leben geöffnet, in dem sein ausgemergelter, kraftloser Körper nicht mehr von den Beschwerden des Alters geplagt, sondern von der Frische und Kraft der Jugend durchströmt wird.
Stets bebte Sven Blutaxt vor dem Gedanken an den Strohtod, denn er wusste, dass er dann nach dem Verröcheln des Lebens ins düstere Reich der gnadenlosen Hel hinab sinken würde. Dort in der Totenhalle müssen die Seelen der ohne Todeswunde verschiedenen bei freudlosem Mahl warten, bis Nagelfahr, das Schiff des Seelen, zur letzten Fahrt ausläuft. Nun aber ist Sven Blutaxt in Walhall eingezogen und Siegvater selbst wird sich von seinem Hochsitz erheben, diesen berühmten Krieger willkommen zu heißen!“
„Deine Bitte, mir zu folgen, sei gewährt, doch einen Sklaven kann ich nicht gebrauchen. Darum beuge deinen Nacken ein letztes Mal, Widar Eisenfaust!“ befahl Lars mit fester Stimme. „Denn der Sohn des Sven Blutaxt kann kein Sklave sein. Die Axt, die deinem Ahn den Tod gab, gebe dir die Freiheit zurück.“
Geduldig kniete Widar vor einem mächtigen Klotz nieder, auf dem sonst das Feuerholz gespalten wurde. Mit einem gezielten Hieb zertrümmerte Lars das Schloss am Bronzering der Knechtschaft, wo ein Nieten-Bolzen die beiden Halbkreise zusammengeschweißt hatte. Das äußerste Ende der Axt-Schneide schrammte über die Haut von Widars Hals. Obwohl die Wunde nicht tief war, sickerte Blut aus dem daumenlangen Schnitt. Blut, dass sich mit dem Lebenssaft, der aus der Armwunde von Lars rann, vermischte.
Lange und prüfend sah Widar Eisenfaust den einstigen Gegner an. Dann beugte er sich nieder und strich mit dem Finger über das Gras, das vom zusammengeflossenen Blut gesprenkelt war. Lars benötigte einen kurzen Augenblick, bis er begriff und auch er beugdas Blut von den Grashalmen.
„ Blühenden Lebens labendes Blut binde Treue tragendes Band !“, sagte Widar und leckte das Blut vom Finger.
„ Treue trink ich dem Bruder im Blute !“ gab Lars als Antwort und leckte gleichfalls den gemeinsamen Lebenssaft. Das heisere Krächzen des Raben, der seine Kreise über ihnen zog, gab dem Bund der Bluts-Brüderschaft die rechte Weihe ...
Odins Boten
Zweimal hatte sich der Mond nach diesem blutigen Ereignis gerundet. Eine lange Zeit, die jedoch benötigt wurde, um einen großen Teil der Getreide-Ernte einzuholen, die bei der unsicheren Wetterlage im Norden rasch auf dem Halm verderben konnte. Schon jetzt, im Spätsommer, wo die Tagessonne noch so wärmend war, dass die schwer arbeitenden Bauern das Wams auszogen, konnten wilde Stürme von See her über das Land hereinbrechen. Da wurde jede Hand bei der Ernte gebraucht und man konnte es sich nicht leisten, nach einer durchgezechten Nacht noch mindestens drei Tage an den Folgen zu leiden und wertvolle Arbeitszeit zu vergeuden.
Doch als die Ernte zu Ringan fast beendet war, brachen zwei Schiffe voll kräftiger Männer noch einmal nach Angantyr auf, um auch dort die Felder abzuernten. Das Leben in diesem kargen Land ließ nicht zu, dass man das reife Korn verderben ließ. Alles, was irgendwie zur Nahrung dienen konnte, musste man ehren und durfte es nicht vergeuden. Denn die Winter konnten sehr lang werden und der Hunger tat weh.
Doch seit die siegreichen Männer von Ringan mit beutebeladenen Schiffen nach Quillerheim zurückgekehrt waren, hatte man schon während der Erntefahrten dieses Siegesfest geplant und vorbereitet. Eine große Jagd in den Wäldern des Innenlandes sorgte für ausreichende Fleischvorräte und das in Grymgard erbeutete Getreide reichte aus. Im nächsten Winter musste keine Kiefern-Rinde ins Brotmehl gemischt werden. In den Reusen nahe der Anlegestege für die Schiffe wurden die im Fjord gefangenen Fische so lange mit Abfällen gefüttert, bis sie am Festtage
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