Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
Vom Netzwerk:
drei säulenartigen Reihen mannsdicker Baumstämme getragen. Überall im Gebälk waren rohe und doch kunstvolle Schnitzereien angebracht. Aus den Baumstamm-Säulen starrten die ungefügigen Gesichter von Riesen, Trollen und Wasser-Nöcken. Bei dieser Art von Verzierungen hatte es die künstlerische Hand der Schnitzer geschickt verstanden, besondere Verformungen der Rinde, austretende Zweige oder Astlöcher für die Fratzen dieser Legendengestalten zu nutzen.
     
    In die Balkenwände hatten kundige Hände, die das Schnitz-Messer wohl zu führen wussten, ganze Reihen von Tierwesen und Drachengestalten geschnitten. Man sah auch haarige Trolle aus dem Felsgebirge, tückische Schwarzalben aus den Höhlen, in denen Alberich hauste, tanzende Elfen von Glarelions lichthellem Volk und Odin selbst, der auf seinem achtbeinigen Grauschimmel Sleipnir durch die Lüfte reitet. Die meisten dieser Schnitzereien waren mit Erdfarben bemalt und schienen beim unsicheren Licht der flackernden Flammen zu geisterhaftem Leben erfüllt.
     
    An der Frontseite, über der Hochsitz des Jarl, hing der mächtige Schädel des Bären, an dem Haakon durch den vielbesungenen Bärensprung seinen Mut bewiesen hatte. Man hatte den Kopf so ausgestopft, dass die Bestie wie lebendig wirkte. Mit aufgerissenem Rachen bleckte der tote Herr der Wälder wie gelbweißen Zähne seines mächtigen Gebisses. Um das Haupt des Bären herum hingen die ausgestopften Schädel eines Wisents, eines Elchs und eines Hirsches. Dazwischen die Köpfe von Wolf, Luchs und Fuchs. Seitwärts hatte man verschiedene zerhauene Schilde und andere Beutewaffen gehängt, die Ringan-Männer in Zweikämpfen gewonnen hatten, wenn es galt, Ehren-Händel mit anderen Thing-Gemeinschaften anstelle eines Krieges durch ein Duell entscheiden zu lassen.
     
    Aus rasch zusammengehauenen Planken waren Tische und Bänke für die Gäste geschaffen worden, die jetzt Jarl Haakons Halle füllten. Denn die Halle wurde nicht nur für Feste oder in der Zeit des Eises zum Thing genutzt, sondern während der kalten Jahreszeit wurde die Halle auch für Arbeiten genutzt. Die Männer verrichteten zwischen den Festen Reparaturen an Ackergeräten, da ihre Hütten dafür zu eng waren. Außerdem nutzte die Gemeinschaft der Frauen von Quillerheim die Halle gelegentlich, wenn die Männer zur Jagd oder zum Krieg aufgebrochen waren, als gemeinsame Spinn-Stube, in der weniger gearbeitet, aber dafür umso mehr geschwatzt wurde.
     
    Beim heutigen Fest herrschte drangvolle Enge im Saal. Nicht nur alle freien Krieger waren geladen, sondern der kluge Jarl hatte beschlossen, auch die ehrenvollen Gefangenen von Angantyr zu bewirten. So konnte er hoffen, dass sie bei Rede und Trunk mit den Ringan-Männern Freundschaften schlossen und diese sie im Hochgefühl des Met-Rausches aus der Knechtschaft entließen. Denn was ein Wikinger betrunken versprach, das hielt er, wenn er wieder nüchtern war. Nach einer gewissen Zeit, so hoffte der Jarl, fanden sich Frodins ehemalige Gesellen als Krieger in die Reihen der Ringan-Männer ein. Dann konnte Haakon sie mit ihren Familien irgendwann als seine Vasallen zurück zum Angantyr-Fjord schicken.
     
    Auf den längsseits zur Halle gestellten Bankreihen drängten sich die Männer zusammen, um jedem Krieger einen Platz zum Sitzen einzuräumen. Unter den Tischen hechelten die Hunde nach fleischbehangenen Knochen, die bei einem solchen Schmaus stets reichlich zu Boden fielen. Das Stimmengewirr glich dem Prasseln eines Eisregens, der sich mit hallendem Donner vermischt.
     
    Der aufbrausende Herbstwind pfiff immer stärker um die Halle, aber im Inneren des mächtigen Holzbaus war durch die vielen Menschen eine wohlige Wärme zu verspüren. Kleine Lampen aus gebranntem Ton, die mit Walfisch-Tran gefüllt waren, spendeten trübes Licht. Der Rauch der in sicherem Abstand an den Säulenstämmen der Hütte angebrachten Fackeln sammelte sich unter der Decke und zog durch einige kopfgroße Öffnungen im Dach ab.
     
    Es dauerte einige Zeit, bis sich die Augen von Lars an das trübe Halbdunkel der Halle gewöhnte hatte, in die er jetzt über Snorres breiten Rücken neugierig hinein starrte. Die Fackeln schienen helle Punkte in der Dunkelheit zu sein und die kleinen Öllämpchen glichen Sternen in der Nacht. Das mächtige Feuer am unteren Ende der Halle, Kochstelle, Heizung und Beleuchtung zugleich, ließ unwirkliche Schatten an den Wänden empor tanzen. Es war wie ein wogendes, alles verschlingendes graues

Weitere Kostenlose Bücher