Die Flammen von Lindisfarne
Meer, das bis zum Dach emporwogte, ohne über den Feiernden zusammenzuschlagen.
„Los, geh rein oder wartest du auf die nächste Wintersonnenwende?“ drängte Widar hinter Lars und schob ihn voran. Denn nachdem Sigurd, der Snorre als dem Älteren den Ehrenvortritt gelassen hatte, die Tür durchschritten hatte, betrat Lars Wolfssohn nun zum ersten Male zu einem Fest der Männer die Methalle. Und obwohl er aus den Erzählungen an den langen Abenden in Snorres Hütte viel von Haakons Halle und ihren Festen vernommen hatte, nahm ihn die Erhabenheit des Anblicks voll gefangen.
„So denke ich mir Walhall, Bruder“, hörte er hinter sich Widar flüstern. „Nur dass man in Walhall immer feiert, da täglich Sährimnir, der schwarzberußte Eber, aufs Neue geschlachtet wird, damit die toten Helden ihr Mahl haben. Wir müssen auf Sonnenwende, Jagdglück oder Siegesfeiern warten, wollen wir nach Herzenslust schmausen und trinken“, dabei sog er genießerisch den Braten-Geruch ein, denn über der großen Feuerstelle drehten kräftige Knechte an einem starken Eisenspieß den Körper eines ausgewachsenen Wisents. Auf einem Rost über den Flammen brieten die Sklaven Fleischstücke von Hirschen und wilden Sauen. Es zischte, wenn sie gelegentlich das Fleisch mit Ael, dem würzigen Kräuterbier übergossen und mancher Nordmann starrte von seiner Bank sehnsüchtig nach dem Krug, aus dem dieser edle Labtrank über das schmurgelnde Fleisch rann, um dann in Lokis Flammenelement zu verzischen.
Lars musste lächeln. Essen und Trinken waren Widars Lieblingsbeschäftigung. Und so stark sein Arm war, so kräftig war sein Appetit.
„Sucht euch einen Platz beim Jungvolk“, raunte ihnen Sigurd zu. „Ihr wisst, die vorderen Plätze der Halle ...“
„... wollen durch kühne Taten verdient sein“, vollendete Lars, der seine Lektion wohl gelernt hatte. Und er schwor sich, dass er einstmals ganz vorn sitzen werde. Doch bis dahin, das wusste er, war noch ein weiter, harter und blutiger Weg.
Auf einer der unteren Bänke war noch Platz und einige Altersgenossen winkten Lars freudig zu. War er auch wegen seiner ungeklärten, geheimnisvollen Herkunft bei den Sippen-Ältesten der Thing-Gemeinschaft nicht sonderlich angesehen, so schätzten die Jünglinge in seinem Alter den Wolfssohn als fröhlichen Kameraden, der niemandem seine Hilfe verweigerte und auch in unangenehmen Situationen zu seinem Wort stand. Dass er an Sigurds Seite bei seinem ersten Kriegszug nicht nur den starken Sohn Frodin Graumantels getötet, sondern auch dem Schildspalter mit dem kräftigen Wurf seines Scrama-Sachs das Leben gerettet hatte, machte ihn zu einem interessanten Tischgenossen. Auch Widar, den er sofort an seine rechte Seite mit auf die Bank zog, war bei den jungen Wikingern beliebt. Was schadete es, dass seine Haare noch nicht auf den Nacken fielen. Die Zierde des Hauptes wuchs rasch und es war jedenfalls gut, die Eisenfaust zum Freund zu haben.
Kräftige Mägde schleppten in mächtigen Holztrögen den leicht gesalzenen Brei aus Hafer und Gerste heran, in den zu dieser Festzeit reichlich gepökelte Fleischstücke waren. Zwar wurde dieses Essen für Knechte von den Wikingern belacht, doch jeder wusste, dass es die beste Grundlage für die starke Rauschwirkung des Mets bildete, der bereits in den Trinkhörnern schwappte. Die Nasenflügel der Wikinger blähten sich durch den süßen Geruch des schweren Honigweins und manche Zunge leckte in genießerischer Vorfreude die Lippen. Doch wagte es keiner der Gäste, einen Trunk zu nehmen, bevor Haakon Bärensprung nicht das Siegesfest eröffnet hatte. Schnaufend gierten sie aus Tonschalen das klare Wasser herunter, wenn die Kehle durch den Brei und das dazu gereichte dunkelgraue Brot trocken wurde.
Auch Bronzekessel, in denen Fischsuppe brodelte, wurde auf die Tische gestellt. Man griff sich eine der einfachen Tonschalen, langte in den Topf und schlürfte genießerisch die Brühe in sich hinein. Geräuschvolles Aufstoßen und andere Arten der Erleichterung zeigte an, wie sehr man dieses üppige Mahl genoss.
Auf einem Podest am Kopfende hatte Jarl Haalkon unter dem Bärenfell seinen Hochsitz. Wie Odin selbst thronte er auf einen mit seltsamen Schnitzereien verzierten Sessel. Die Beine hatten die Form von Schlangen, die sich aus dem Sitz heraus ringeln und deren Köpfe in den Staub der Erde gepresst werden. Die Armlehnen stellten die Schädel von Wölfen mit klaffend aufgerissenen
Weitere Kostenlose Bücher