Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
Vom Netzwerk:
umspannen.
     
    „So einen mächtiger Baum?“ Lars staunte. „Ist das nicht...ein Frevel, ihn zu fällen?“
     
    „Vielleicht ist er Thor heilig, ohne das wir es wissen“, wandte Widar ein. „Und der Donnerer zürnt uns, wenn wir seinen heiligen Eichbaum umschlagen.“
     
    „Aberglaube!“ Wulfegar lachte. „Wie soll hier mitten in der Waldeinsamkeit ein heiliger Baum stehen?“
     
    „Vielleicht hat ihn Thor selbst gepflanzt und wir wissen es nur nicht“, mutmaßte Widar.
     
    „Ja, und er hat sie selbst mit seinem Zeichen versehen“, stieß Lars aufgeregt hervor und wies ins höhere Geäst. „Seht ihr denn nicht, dass der obere Teil des Stammes vom Blitz gespalten ist, ohne dass der ganze Baum auseinander gesplittert wäre.“
     
    „Es ist sicher nicht ungewöhnlich, dass Thors Hammer die höchsten Bäume trifft.“ legte sich Snorre ins Mittel, obwohl auch ihn ein heimliches Grausen bei dem Gedanken ankam, diesen uralten Waldkönig zu fällen.
     
    „Aber ein Baum, den der gewöhnliche Blitz trifft, wird bis auf den Grund gespalten und verbrennt“, sagte Lars eifrig. „Hier aber ist nur der obere Teil getroffen und in zwei Teile gesplittert.“
     
    „Und beide Teile haben ein neues Leben entwickelt, so als ob aus dem alten Stamm zwei neue Bäume entstanden wären!“ erkannte Widar. „Thor hat durch den Wurf seines Hammers hier ein Sinnbild für die Zeugung seiner beiden starken Söhne Magni und Modi geschaffen.“
     
    „Und Thor wollte, dass wir gerade diesen Baum finden und ihn uns nutzbar machen“, grollte Wulfegar. „Seit drei Tagen streifen wir nun durch die Wälder. Am Tiustag fanden wir die große Eibe und am Wotanstag die hochragende Esche. Doch heute, am Donarstag ließ uns der Gott die Eiche finden, die nicht nur den Kiel des Schiffes in sich trägt, sondern deren vom Blitz gespaltene Teile sich in einer solchen Krümmung weiter entwickelt haben, dass man aus ihnen die Bug- und Heckzier schaffen kann!“
     
    „Du hast Recht!“ stieß Snorre hervor. „Die Biegungen des Holzes haben den Drachenkopf und den ringelnden Schweif bereits vorgegeben.“
     
    „Der Baum muss also sterben“. stellte Lars mit leisem Bedauern fest, „Und ich soll sein Henker sein.“
     
    „Schafft dir das Seelenpein?“ Der Sachse sah ihn merkwürdig von der Seite an. „Du hast Männer erschlagen...“
     
    „Das war im Kampf. Sie konnten sich wehren“, antworte Lars heftig.  „Ich tötete sie, weil sie sonst mich erschlagen hätten. Aber dieser Baum, der vielleicht nie zuvor Menschen gesehen hat, muss nach Jahrhunderten einsamen Schweigens sein Leben lassen, nur weil Menschen ein Schiff bauen wollen.“
     
    „Leben und Sterben sind der Lauf der Dinge“, sagte Snorre. „Der Mensch wächst auf, um seine Art fortzupflanzen und dann zu sterben. Sieh hier um dich. Siehst du die vielen kleinen Eichenpflanzen. Die Eicheln fielen von diesem Riesenbaum, der ihnen Vater und Mutter zugleich ist. Aber sie können nicht gedeihen und sterben ab, weil ihnen der Erzeuger durch den Schatten seiner Äste zugleich der Mörder ist. Sie werden leben, wenn wir den Alten beiseite geräumt haben.“
     
    „Gottesfrevel ist es, einen Baum mutwillig umzuhauen, um ihn dann verrotten zu lassen“, sagte Wulfegar. „Doch dieser Baum wird in unserem Schiff weiterleben. Wir alle werden ihm unser Leben anvertrauen und er wird uns mit seiner Kraft über die Wogen tragen zu dem Strand, wo sich die Feinde der Götter sammeln.“
     
    „Wir töten doch auch Tiere, weil wir essen müssen“, setzte Snorre hinzu. „Und jedes dieser Tiere ist einem der Götter heilig. Doch sie erzürnen nur, wenn wir etwas vom Fleisch, vom Fell oder von den Knochen eines Lebewesens sinnlos vergeuden. Doch das tun wir nicht. Das Fleisch nährt uns, die Felle kleiden uns und die Knochen werden zu Mörtel und Leim. So ist es auch bei den Bäumen. Was wir nicht verarbeiten, dient uns zum Kochen oder zum Wärmen der Hütten. Nichts wird vergeudet.“
     
    „Ich denke, du hast Recht, Vater!“ nickte Lars. „Verzeih mir, wenn meine Gedanken eines Wikingers unwürdig waren.“
     
    „Du ehrst das Werk der Götter, indem du das von ihnen geschaffene Leben der Natur ehrst, mein Sohn“, Snorre legte ihm schwer die Hand auf die Schulter. „Was ist daran unwürdig zu nennen?“
     
    „Nun, da es nicht anders ist, so lasst uns beginnen“, Widar wog eine der beiden mächtigen Holzäxte in seiner Hand und ging zu der Eiche in Hieb-Stellung. Lars

Weitere Kostenlose Bücher