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Die Flammende

Die Flammende

Titel: Die Flammende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Kristin; Diestelmeier Cashore
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war, seins war, bis es mit so erstaunlichen Haaren geboren wurde, dass Jessa es Fire genannt hatte.
    Warum hatte Cansrel Fire am Leben gelassen? Auch darauf kannte Fire die Antwort nicht. Er war neugierig gekommen, um sie sich anzusehen, wahrscheinlich mit der Absicht, sie zu ersticken. Aber als er ihr dann ins Gesicht schaute, den Geräuschen lauschte, die sie machte, ihre Haut berührte – und ihre winzige, unbestimmte, perfekte Monsterartigkeit in sich aufnahm –, hatte er aus irgendeinem Grund beschlossen, dass dies etwas war, was er nicht zerschmettern wollte.
    Noch als Baby trennte Cansrel Fire von ihrer Mutter. Ein menschliches Monster hatte zu viele Feinde und er wollte, dass sie an einem abgelegenen Ort weit entfernt von King’s City aufwuchs, wo sie in Sicherheit war. Er brachte sie zu seinem Anwesen im Norden der Dells, einem Landgut, auf dem er sich nur selten aufhielt. Dort ließ er sie bei seinem verblüfften Diener Donal und einem Häufchen aus Köchen und Dienstmädchen zurück. »Zieht sie groß«, sagte er.
    An den Rest erinnerte Fire sich. Ihr Nachbar Brocker mochte das verwaiste Monsterkind und kümmerte sich um ihre Ausbildung in Geschichte, Schreiben und Rechnen. Als sie sich für Musik zu interessieren begann, besorgte er ihr einen Lehrer. Archer wurde Fires Spielkamerad und schließlich ihr Freund und Vertrauter. Aliss starb an einer langwierigen Krankheit, die nach Archers Geburt eingesetzt hatte. Fire erfuhr durch die Berichte, die Brocker erhielt, dass Jessa ebenfalls gestorben war. Cansrel kam oft zu Besuch.
    Seine Besuche waren verwirrend, denn sie erinnerten Fire daran, dass sie zwei Väter hatte, die sich nie begegneten, wenn es sich vermeiden ließ, nie mehr miteinander redeten, als die Höflichkeit erforderte, und nie einer Meinung waren.
    Einer saß ruhig und barsch und unansehnlich in einem Stuhl mit großen Rädern. »Mein Kind«, sagte er liebevoll zu ihr, »so, wie wir dich respektieren, indem wir unser Bewusstsein vor dir wappnen und uns dir gegenüber anständig verhalten, so musst du auch deine Freunde respektieren, indem du deine Macht nie absichtlich gegen uns anwendest. Verstehst du das? Ich möchte, dass du nichts tust, was du nicht verstehst.«
    Ihr anderer Vater leuchtete und schillerte und war in diesen frühen Jahren fast immer glücklich. Er küsste sie, wirbelte sie herum und trug sie die Treppe hoch ins Bett, sein Körper heiß und elektrisierend, sein Haar wie warmer Satin, wenn sie es berührte. »Was hat Brocker dir beigebracht?«, fragte er mit einer Stimme zart wie Schokolade. »Hast du an den Dienern geübt, die Macht deines Bewusstseins einzusetzen? An den Nachbarn? An den Pferden und Hunden? Es ist richtig, das zu tun, Fire. Es ist richtig und es ist dein Recht, weil du mein schönes Kind bist und die Schönheit Rechte hat, die der Durchschnitt nie haben wird.«
    Fire wusste, welcher der beiden ihr leiblicher Vater war. Es war derjenige, den sie »Vater« nannte anstatt »Brocker«, und er war derjenige, den sie heftiger liebte, weil er immer entweder gerade ankam oder gerade abreiste und weil sie sich in den kurzen Zeitspannen, die sie zusammen verbrachten, ausnahmsweise nicht wie eine Missgeburt fühlte. Die Leute, die sie hassten oder übermäßig liebten, hatten genau die gleichen Gefühle für Cansrel, aber ihm gegenüber verhielten sie sich anders. Die Köche lachten Fire wegen des Essens aus, nach dem sie verlangte. Es war dasselbe Essen, nach dem Cansrel verlangte, und wenn er zu Hause war, lachten die Köche nicht. Cansrel konnte sich zu Fire setzen und etwas tun, das sonst niemand konnte: ihr beibringen, die Macht ihrer Gedanken zu verbessern. Sie konnten sich wortlos verständigen, sie konnten sich von entgegengesetzten Enden des Hauses aus berühren. Fires leiblicher Vater war wie sie – er war sogar der Einzige auf der ganzen Welt, der war wie sie.
    Bei seiner Ankunft fragte er jedes Mal das Gleiche: »Mein liebes Monstermädchen! War irgendjemand gemein zu dir, während ich weg war?«
    Gemein? Kinder bewarfen sie auf der Straße mit Steinen. Manchmal wurde ihr ein Bein gestellt, man schlug und verhöhnte sie. Leute, die sie mochten, umarmten sie, aber sie umarmten sie zu fest und waren zu vorwitzig mit ihren Händen.
    Und doch lernte Fire schon sehr bald, seine Frage zu verneinen – zu

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