Die Flammende
sie gerade gegen eine Panikattacke ankämpfte. Liddy mochte ihre sanfte junge Herrin und Fires Kummer tat ihr leid. Sie setzte sich neben Fire und streichelte sie übers Haar, die Stirn, hinter den Ohren, im Nacken bis hinunter über den Rücken. Die Berührung war liebevoll gemeint und der tiefste und zärtlichste Trost der Welt. Fire legte Liddy den Kopf in den Schoà und Liddy streichelte sie weiter. Es war ein Geschenk, vollkommen uneigennützig, und Fire nahm es an.
An diesem Tag, von diesem Augenblick an, entstand etwas Leises zwischen ihnen. Ein Bündnis. Sie bürsteten sich manchmal gegenseitig die Haare, halfen sich beim An- und Ausziehen. Sie stahlen gemeinsame Zeit und flüsterten miteinander wie kleine Mädchen, die eine Seelenverwandte gefunden haben.
Aber in Cansrels Nähe konnten manche Dinge nicht geschehen, ohne dass Cansrel sie bemerkte; Monster spürten so etwas einfach. Cansrel begann sich über Liddy zu beklagen. Er mochte sie nicht, wollte nicht, dass die beiden Mädchen Zeit miteinander verbrachten. SchlieÃlich verlor er die Geduld. Er arrangierte eine Heirat für Liddy und schickte sie weg auf einen Landsitz jenseits der Stadt.
Fire war sprachlos, bestürzt und todunglücklich. Natürlich war sie froh, dass er Liddy nur weggeschickt und sie nicht getötet oder mit in sein Bett genommen hatte, um ihr eine Lektion zu erteilen. Aber es war trotzdem eine harte und selbstsüchtige Grausamkeit. Es stimmte sie nicht gnädig.
Vielleicht machte ihre Einsamkeit nach der Zeit mit Liddy sie bereit für Archer, obwohl Liddy und Archer vollkommen verschieden waren.
Während dieses Frühjahrs und bis in den Sommer hinein, in dem Fire fünfzehn wurde, wusste Archer, was für eine Wahnsinnstat sie erwog. Er wusste, warum sie nichts essen konnte und warum ihr Körper litt. Es quälte ihn und er war auÃer sich vor Angst um sie. Er stritt deswegen mit ihr; er stritt mit Brocker, der ebenfalls besorgt war, sich allerdings weigerte einzugreifen. Archer flehte Fire immer und immer wieder an, das ganze Unternehmen aufzugeben. Immer und immer wieder weigerte Fire sich.
In einer Augustnacht, während eines heftigen geflüsterten Wortgefechts unter einem Baum vor ihrem Haus, küsste er sie. Sie erstarrte erschrocken, aber als er seine Hände nach ihr ausstreckte und sie erneut küsste, wusste sie, dass sie das auch wollte. Sie brauchte Archer, ihr Körper brauchte diese Wildheit, die gleichzeitig tröstlich war. Sie drängte sich an ihn; sie nahm ihn mit hinein und nach oben. Und so wurden aus Kindheitsgefährten Geliebte. Sie fanden einen Ort, wo sie sich einig waren, eine Erlösung von den Sorgen und der Traurigkeit, die sie zu überwältigen drohten. Nachdem sie mit ihrem Freund geschlafen hatte, stellte Fire oft fest, dass sie etwas essen wollte. Dann fütterte Archer sie in ihrem Bett mit Essen, das er durchs Fenster hereinbrachte.
Cansrel wusste natürlich auch von dieser Beziehung, aber während ihre zärtliche Liebe zu Liddy für ihn unerträglich war, hatte ihr Bedürfnis nach Archer keinen stärkeren Effekt auf ihn, als dass er sich amüsiert in das Unvermeidliche fügte. Es kümmerte ihn nicht, solange sie die Kräuter nahm, wenn es nötig war. »Zwei von uns sind genug, Fire«, hatte er bestimmt gesagt. Sie hörte die Drohung gegen das Baby, das sie nicht bekommen würde, aus seinen Worten heraus. Und nahm die Kräuter.
Zu jener Zeit benahm sich Archer noch nicht eifersüchtig oder tyrannisch. Das kam erst später.
Fire wusste nur zu gut, dass nicht immer alles gleich bleibt. Natürliche Anfänge kamen irgendwann an ein natürliches oder unnatürliches Ende. Sie freute sich darauf, Archer zu sehen, freute sich auÃerordentlich, aber sie wusste, worauf er hoffte, wenn er nach Kingâs City kam. Sie freute sich nicht darauf, dieses Ende für ihn in Worte fassen zu müssen.
Fire war dazu übergegangen, jedem, den sie befragte, den nebligen Bogenschützen zu beschreiben, ganz kurz, am Ende jedes Verhörs. Bisher war es vergeblich gewesen.
»Lady«, sagte Brigan an diesem Tag in Garans Schlafzimmer zu ihr. »Haben Sie bereits irgendetwas über diesen Bogenschützen herausgefunden?«
»Nein, mein Prinz. Anhand der Beschreibung scheint ihn niemand identifizieren zu können.«
»Nun«, sagte er, »ich hoffe, Sie fragen weiter
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