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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Weise gesagt worden ist, das ist eine der seltenen Gelegenheiten, und er hat den Boden dafür bereitet.
    Er hat es nicht eilig, ganz und gar nicht, bürstet sich ein paar imaginäre Staubflusen vom Jackenärmel, senkt die Schultern, faltet die Hände und öffnet sie wieder. Er betrachtet sie alle der Reihe nach, während er für sich selbst rekapituliert, wie er die Worte anbringen soll.
    »Meine Herren Kandidaten«, sagt er schließlich, und nicht das geringste kleine Lächeln spielt in seinem strengen Antlitz. »Das ist unsere letzte Zusammenkunft. Ich möchte mich für dieses Semester bedanken. Mein Anliegen war es, Ihnen einen so guten Einblick in einige der wichtigsten Fragestellungen der Philosophie zu geben, wie es nur möglich ist. Inwieweit es mir geglückt ist, wird sich am Montag herausstellen, wenn Sie den Beweis antreten werden. Natürlich habe ich mir bereits ein Bild davon gemacht, wo Sie jeweils stehen, aber es kommt trotz allem auf Sie an, auf jeden Einzelnen, sein Bestes zu zeigen. Nicht in erster Linie für die eigene Person, sondern der Philosophie zuliebe. Auch das Wissen eines blinden Huhns lässt das Gesamtwissen auf der Welt anwachsen.«
    Er macht eine kurze Pause, damit sich diese unleugbare Erkenntnis in ihnen festsetzt. Einige der Apostel wagen ein vorsichtiges Lächeln, doch die meisten verziehen keine Miene. Auch der Professor nicht.
    »Wenn Sie damit beschäftigt sind, werde ich mich auf der anderen Seite des Ozeans befinden, um an einem Logiksymposium in Boston teilzunehmen. Es ist meine große Hoffnung, dass es unter Ihnen einige oder zumindest einen gibt, der ebenfalls in philosophischer Angelegenheit über das große Wasser fahren wird ... dass es unter Ihnen Erben für uns Alte gibt, junge Philosophen, die bereit sind ... ihr Leben für die Sache zu opfern. Kurz und gut, Ihre nahe liegende Aufgabe besteht natürlich darin, das Wochenende gut zu nutzen. Mir bleibt vor meiner Abreise morgen nur noch, die Examensfragen zu formulieren. Mit dieser delikaten und heiklen Arbeit werde ich mich bereits heute Nachmittag befassen, und ich werde mich natürlich um optimale Variation und Ausdruckskraft bemühen. Ich möchte diese Zusammenkunft nicht beenden, ohne eine alte Frage aufzugreifen, von der ich weiß, dass sich im Laufe des Jahres diverse Kandidaten mit ihr beschäftigt haben ... innerhalb der philosophischen Wissenschaft wie auch in anderen Disziplinen. Die Frage lautet: Ist es möglich, die Examensaufgaben vorauszusehen?«
    Zwei Sekunden Schweigen. Dann ist plötzlich ein Geräusch von Professor Hockstein zu vernehmen. Ein merkwürdiger, hohler und schnarrender Laut, den anfangs niemand identifizieren kann.
    Doch dann begreift man.
    Hockstein lacht.
    Sein großer Kopf wippt auf und ab auf dem dünnen, sehnigen Hals, und aus seiner Kehle kommt eine Reihe kurzer, abgehackter Stöße. Es klingt eigentlich mehr nach einem Gebell als nach einem Lachen, und die ganze Szenerie hat plötzlich einen grotesken Anstrich bekommen. Mehrere seiner Jünger scharren unangenehm berührt mit den Füßen und wissen nicht, worauf sie ihren Blick heften sollen.
    Wie kann so ein Mensch eine Tochter wie Marlene bekommen?, kann Leon gerade noch denken.
    Dann räuspert Hockstein sich und ergreift erneut das Wort.
    »Hm! Ich wiederhole: Ist es möglich, die Examensaufgaben vorherzusehen?«
    Nur einen Augenblick später ist er aus dem Raum verschwunden. Wie immer hat er einen überrumpelnden Abgang zu Stande gebracht, hat seine Papiere zusammengerafft und ist aus der Tür entwichen, ohne dass sie es überhaupt haben bemerken können. Exit Hockstein, wie schafft er das? Die Apostel schütteln den Kopf. Sie packen ihre Bücher ein. Filipopov zündet sich seine Pfeife an. Lübbisch sucht nach seinen Schuhen unter dem Tisch, und dann schlendern sie hinaus, einer nach dem anderen, ein wenig wortkarg, daran besteht kein Zweifel. Wie üblich bleiben als Letzte nur noch Tomas und Leon zurück.
    Leon wirft dem Freund einen Blick zu. Dieser scheint gar nicht daran zu denken aufzubrechen ... Vollkommen unbeweglich sitzt er an seinem Tischende und starrt aus dem Fenster. Er hat die rechte Hand mit dem Stift halb erhoben; als wäre er soeben dabei, etwas aufzuschreiben, hielte aber dabei inne, um nach dem richtigen Wort zu suchen, der richtigen Formulierung. Leon schließt seine Aktentasche und zögert.
    »Was machst du?«, fragt er schließlich.
    »...«
    »Wollen wir zusammen gehen?«
    »Halt den Mund.«
    »Na,

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