Die Fliege Und Die Ewigkeit
Reisetasche packen, aber da gibt es genügend Platz, deshalb ist es eigentlich kein Grund zur Sorge.
Der andere Band, auf den das Los fiel, war eine kleine Gedichtsammlung mit dem sonderbaren Titel »Zwölf Rezitative für traurige Ritter«. Der Autor heißt Michail Rodonowitsch Barin, und auf dem Vorsatzblatt gibt er an, mit dem Geschlecht Romanow verwandt zu sein. Das Buch war obendrein nicht aufgeschnitten, und als ich wahllos ein paar Seiten in der Mitte aufschnitt, stieß ich auf das Gedicht »Feuerbestattung im Herbst«:
Kämpfe, Rauch, alles zusammenzuhalten!
Denn alles soll einmal wieder sein.
Schließe dicht in die Reihe Deine Farben auf
und zolle nicht dem neuentfachten Feuer deinen
Tribut, Kamerad!
Einmal werden die weißen Knochen für immer
bestehen,
einmal wird wieder über Siege geschrieben werden.
Kämpfe, Rauch!
Es würde mich nicht wundern, wenn ich, abgesehen vom Verfasser und Verleger, der einzige Mensch gewesen wäre, der diese Zeilen je gelesen hat. Es wäre sicher interessant, dieser Frage nachzugehen. Dieser Gedanke beschäftigt mich eine Weile, doch dann sehe ich, dass das Erscheinungsjahr 1943 war, mitten im Krieg. In Anbetracht dessen und bei näherer Überlegung begnüge ich mich damit, Michail Rodonowitsch keinen weiteren Gedanken zu widmen.
Stattdessen nutze ich die Zeit, vor dem Essen zu duschen und meine Sachen zu packen. Es ist nicht schlecht, für eine kurzfristige Abreise bereit zu sein, ich bin mir keineswegs darüber im Klaren, was wohl am bevorstehenden Abend und in der folgenden Nacht passieren wird
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A ls er den Fuß auf den hervorstehenden Stein setzt und sich über die Mauerkrone schwingt, meint er, nie etwas anderes in seinem ganzen Leben gemacht zu haben.
Hier wird nicht reflektiert, einfach frisch ans Werk, ans triste, sinnlose, dieses ungebührlich aussichtslose Wagnis ...
Das Eisenrohr rutscht aus dem Ärmel und fällt auf den Rasen. Er ist gezwungen, eine Weile im Dunkeln danach zu suchen. Das Haus liegt still und dunkel da. Er überlegt, welches wohl das Schlafzimmer des Professors sein mag, es wundert ihn ein wenig, dass Tomas das nicht gewusst hat.
Er schiebt erneut die Terrassentür auf. Bleibt direkt hinter ihr stehen. Lauscht. Tastet nach dem Rohr. Das eine Ende ist grober, hat einen achtkantigen, hervorstehenden Falz. Er beschließt, es am anderen Ende festzuhalten, das rund ist und ein paar Zentimeter Schraubgewinde hat. Der Rost hat einiges zerfressen, scharfe kleine Flocken ragen hoch, das ergibt den perfekten Halt. Zur Probe schlägt er ein paar Mal in die Luft; stellt fest, dass er zumindest keine Angst davor haben muss, dass es ihm aus der Hand rutscht.
Er bleibt horchend stehen. Der Regen und der Wind sind leise aus dem Garten zu hören. Im Haus selbst kann er kein anderes Geräusch vernehmen als das einer Uhr, die die Sekunden in der Stille zertickt. Sie klingt ein wenig zögerlich, was sich wohl problemlos justieren ließe, aber er ist nicht gekommen, um Uhren zu reparieren.
eine Art von Bedeutung beinhaltet, die einem bisher verborgen blieb und einem für alle Zeiten in dem eigenen verarmten Winkel der Ewigkeit verborgen bleiben wird; eine Bedeutung, die sich dennoch für ein höheres Wesen finden lassen muss ...
Er durchquert das Zimmer und gelangt auf einen Flur. Eine Straßenlaterne, es handelt sich wohl um die vor der St. Maria, wirft einen blassen Schimmer durch ein Fenster und die seidendünnen Gardinen. Zeigt ihm den Treppenansatz hinauf zum ersten Stock.
Er nimmt an, dass der Professor irgendwo dort oben schläft. Hält seine Armbanduhr in das schwache Licht. Fünf vor zwölf. Tomas hat gesagt, dass der Professor immer kurz nach elf ins Bett geht. Wenn er einen einigermaßen gesunden Nachtschlaf hat, sollte er um diese Zeit schlafen ... also geht es nur darum, das richtige Zimmer zu finden. Sich hineinzuschleichen und zuzuschlagen. Er hofft von ganzem Herzen, keinen wachen Professor vorzufinden: Jede Menge unnötiger Gewaltanwendung vor dem definitiven Todesschlag durchführen zu müssen, erscheint ihm nicht besonders attraktiv.
Er geht ins oberste Stockwerk. Die erste Tür steht einen Spalt offen. Er tritt näher und lauscht.
Ein schwaches, aber regelmäßiges Atmen ist zu hören.
Wie einfach, denkt er und schiebt die Tür auf. Die Scharniere knarren ein wenig, das ist wohl bei allen Türen hier im Haus so. Das Schnarchen hört auf. Eine Lampe wird eingeschaltet.
Wie dumm, denkt Leon. Aber
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