Die Flieger von Antares - 08
dem Thron gestrebt, weil mir nichts Besseres einfiel. Doch inzwischen waren mir durch die Treue und Abhängigkeit meiner Männer die Augen geöffnet worden – und jetzt zögerte ich. Hatte ich überhaupt das Recht, nach dem Thron eines fremden Landes zu greifen? Konnte ich mehr erreichen als all die anderen Idioten, die sich der Krone aus Eigennutz bemächtigt hatten? Durchaus möglich; Sie wissen, daß ich in Valka großen Erfolg hatte und die Klans von Felschraung und Longuelm unter meiner Führung gute Jahre erlebten. Aber – und dies war ein großes Aber – hatte ich womöglich gar keine Freude mehr an dem Vorhaben? Hatte die Übung an Reiz verloren, wenn ich nun ernsthaft den Thron besteigen würde? Mit der Wucht eines zu Tal rasenden Mühlsteins waren mir die Ereignisse aus der Hand geglitten.
Ich stellte fest, daß der Kov der Insel Hyr Khor, Nath Jagdur, früher einmal dem Djin-Tan angehört hatte. Als er zum Ausgestoßenen, zum Leemkopf, erklärt wurde, hatte sein Tan ihn verstoßen. Er hatte sich an der Sippe blutig gerächt und war der einzige Überlebende dieses Zweiges, mit der Ausnahme eines jungen verkrüppelten Mädchens, das beim Bolin-Tan in Nord-Djanduin Schutz gefunden hatte und das aus diesem Grund jetzt hinter der gegnerischen Linie lebte, in einem von den Gorgrens besetzten Gebiet.
Tag um Tag erhielt ich neue Nachrichten über die Bewegung, die meine Thronbesteigung unterstützte. Coper hatte sich ernsthaft ans Werk gemacht. Außerdem wurde die Zeit knapp. Die Staatsfinanzen waren zerrüttet. Die Soldaten erhielten keinen Sold mehr. Fremde Schiffe fuhren an den Küsten vorbei. Die Ernte war zwar gut ausgefallen, doch in typischer Manier versteckten die Bauern den größten Teil der Erträge und verkauften nur einen winzigen Bruchteil auf den Märkten. In den Städten kam es zu Unruhen. König Kolanier tobte im Palast herum und schickte Patrouillen über Land, die Scheunen abbrannten und versteckte Nahrungsmittelvorräte aushoben. Die Lebensmittel wurden in die Stadt zurückgebracht und im Kreise derjenigen verteilt, die die Gunst des Königs genossen – vorwiegend in der Armee. Coper meldete, daß seines Erachtens eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes nur noch verhindert werden konnte, wenn ich sofort zuschlug.
Ich mußte also zu einer Entscheidung kommen. Und das fiel mir mit einemmal nicht leicht.
O ja, ich hatte keine große Ähnlichkeit mehr mit jenem Dray Prescot, der sich früher ungeachtet der Gefahren in jeden Leemkäfig gestürzt hätte. Ich überlegte gründlich, und wenn ich hier zum Ausdruck bringe, daß ich schließlich doch den Entschluß faßte, den Wünschen Copers und Kytuns und der anderen Freunde zu entsprechen, kann ich Sie nur um Verständnis bitten. Ich bin mir der alten Erkenntnis, daß Macht korrumpieren kann, stets bewußt gewesen. Schon oft hatte ich Macht ausgeübt. Wenn ich korrupt war, konnte ich mir das nur selbst vorwerfen. Daß ich mich nicht für korrupt hielt, bedeutete vielleicht, daß ich die Wahrheit nicht erfaßte. Doch ich möchte das bezweifeln. Jedenfalls habe ich mich stets bemüht, meine Mitmenschen fair zu behandeln.
Am vorgesehenen Tag marschierten wir in Richtung Djanguraj.
Unsere Armee bot ein großartiges Schauspiel.
Die Flutduins peitschten mit ihren gelben Flügeln die Luft, ihre schwarzen Schnäbel waren hoffnungsvoll ausgestreckt. Die Infanterie marschierte in üblicher Formation, Pastang um Pastang, Regiment um Regiment. Die Artillerie rollte dahin, gezogen von gutgenährten Quoffas oder Calsanys. Die Joats der Kavallerie trabten klirrend über die weißen Straßen. Und über dem Heer, das von Tag zu Tag angewachsen war, dem ständig neue Männer zuliefen, die die unruhige Zeit beendet sehen wollten, wehte meine alte rot-gelbe Flagge.
Coper schickte uns einen Voller entgegen. Der Merker war derselbe Chang von den Flügeln, der uns schon einmal eine entscheidende Neuigkeit überbracht hatte.
»Lahal, Notor Prescot – kommender König Djanduins!«
»Lahal, Chan von den Flügeln!«
Er reichte mir den Balasskasten und vertraute mir dabei die Nachricht schon an.
»König Kolanier ist tot. Der Kov von Hyr Khor, Nath Jagdur, sitzt jetzt auf dem Faerling-Thron!«
Mein erstes Gefühl war Erleichterung. Vielleicht brauchte ich nun nicht mehr kämpfend in die Hauptstadt zu marschieren und die Last der Krone auf mich zu nehmen.
Im nächsten Augenblick begann Kytun zu meiner Überraschung zu lachen. »Bei Nundij!« rief er. »Der
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