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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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schrecklich weiße Dame zu meiden.
    Sein Herz schlug nur für Tanja. Und für Mick. Er hoffte, dass ihn sein Ex-Mitbewohner in Haus Holle finden würde – obwohl er ihm keine Telefonnummer hatte hinterlassen können. Er legte sich in sein neues Bett und sog den Duft frischen Salbeis ein, den er der Hauswirtschafterin zu verdanken hatte.

Tausend Wege führen zum Tod
     
     
    Minnie schmerzten die Innenseiten der Schenkel, als sie das Esszimmer betrat. Außerdem drückte irgendetwas auf ihr Geschlecht.
    „Nicht irgendetwas“, schalt sie sich selbst, „das ist der Tumor!“
    Ja, sie blutete. Ja, es schmerzte wieder. Ja, Dr. Aracelis hatte die Morphiumdosis erhöht. Und ja, der Tag ihrer Rückführung war gekommen. Die alte Dame lebte noch. 
    Marisabel Prinz saß auf ihrem Stammplatz. Frustriert musterte die Hundezüchterin ihre Fingernägel. „Der Lack ist fast ab“, sagte sie, ohne ihren Kopf anzuheben. Inzwischen erkannte sie Minnie am Quietschen ihres Rollators. 
    „Guten Morgen, Frau Prinz!“
    „Heute ist Ihr großer Tag, was?“, fragte die Hundezüchterin.
    „Ja“, sagte Minnie. „Um 14 Uhr findet meine Rückführung statt. Ursula Demarmels sitzt bereits im Flieger. Aber ich fürchte mich auch ein bisschen. Was soll ich nur machen, wenn ich schlimme Dinge sehen werde? Oder, wenn ich Panik bekomme oder das Ganze gar nicht klappt?“
    „Ich glaube, es wird gelingen“, meinte Marisabel ungerührt. „Ich hatte anfangs auch Angst vor allem – zum Beispiel davor, nach Haus Holle zu kommen. Habe ich Ihnen schon mal gestanden, dass ich Angst hatte, hierher zu ziehen? Ich stellte mir den Ort dunkel und trostlos vor. Doch Sie wissen ja selbst, wie es wirklich ist. Direkt hinter unserem Haus ist ein Kindergarten. Näher können Leben und Sterben nicht beieinander sein, oder?“
    Die Hundezüchterin schlug ihre dünnen Beine übereinander. Minnie sah, dass Marisabels Jeans schlackerte.
    Frau Prinz stöhnte leise auf. „Heute tun mir alle Knochen weh. Außerdem ist der Ärger mit meinen Schulden immer noch nicht ausgestanden. Was wird nur aus meinen lieb gewonnenen Schätzen, wenn meine Tochter unsere eigenen vier Wände verkaufen muss?“
    Marisabel stieß hart auf. Entsetzt blickte sie Minnie an. „Was ist bloß mit meinem Magen los? Ob das vom Erbrechen kommt? Ich will mich nicht unterkriegen lassen!“
    „Vielleicht haben Sie sich verschluckt!“ Aus der Ecke des Esszimmers, wo ein bestickter Wandteppich hing, erklang die Stimme eines Mannes, den Minnie völlig übersehen hatte.
    Die alte Dame kniff ihre Augen zusammen.
    In der Ecke saß ein tiefgebräunter, schlanker Kerl mit schlohweißem Haar. Er knabberte an einem Hartkäse und entblößte beim Kauen große Zahnlücken. Außerdem hatte er wahnsinnig große Ohren. „Oder vielleicht sind Sie krank!“ Die Stimme des drahtigen Mannes klang knurrig. Er erinnerte Minnie an einen alten Streuner, dessen stahlblaue Augen das Sein aus der Perspektive eines Überlebenskünstlers betrachteten.
    „Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet“, sagte die alte Dame höflich. „Mein Name ist Minnie, ich lebe hier auch.“
    „Herr Weiß“, sagte der Fremde. „Ich wohne im ersten Zimmer.“
    „Sie meinen in 1“, rief Marisabel mürrisch. „Wissen Sie eigentlich, wo Sie hier sind? Natürlich bin ich krank! Oder haben Sie nicht alle Tassen im Schrank?“
    „Das will ich meinen“, antwortete Herr Weiß. „In meinem Kopf klingelt alles.“
    Er lachte laut auf und schlackerte mit den Ohren.
    „Der ist ja irre“, sagte die Hundezüchterin zornig. „Vor ein paar Tagen war die Runde am Esstisch noch so schön. Und jetzt das!“
    Wütend versuchte sie aufzustehen.
    „Von einer Kartoffelkiste in die nächste“, kommentierte Herr Weiß Marisabels vergeblichen Versuch. „Einmal landen wir alle in der Kartoffelkiste.“
    In diesem Moment betrat Adolf Montrésor das Esszimmer. „Da sind Sie ja, mein Freund!“, rief Herr Weiß begeistert. „Ich habe schon auf Sie gewartet. Wir trinken jetzt ein Bier zusammen.“
    Adolf grunzte erfreut. „Ich darf eigentlich keinen Alkohol trinken“, sagte er gedehnt. „Doch zufälligerweise“ – er blinzelte Rudi zu, „weiß ich wo ein kühles Jever im Kühlschrank steht.“
    Wie ein kleines Kind klatschte Herr Weiß in die Hände und rief Yippieh . „Und das Essen gibt’s hier auch umsonst? Das ist der beste Platz auf Erden!“
    Minnie lächelte unwillkürlich. Adolf Montrésor und Rudi Weiß passten perfekt

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