Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
Träne, denn er hatte sich immer gut verstanden mit dem jungen Mann namens Mick.
An Micks letztem Arbeitstag schenkte der Ex-Zivi Rudi eine kleine Karte mit seiner neuen Adresse . Mitten in der Innenstadt hatte er eine Wohnung gefunden, nahe der Universität. „Germanistik“ wolle er studieren, das bedeutete übersetzt so viel wie „Deutsch“.
Nach nur einem Tag stand Rudi bereits vor Micks neuer Wohnungstür. Er wurde freundlich hinein gelassen, trotz der Pissflecken auf seiner Hose.
Bald schon besuchte er Mick täglich.
Und – als hätte das Schicksal es so gewollt – bekam Mick ein Angebot für eine große Wohnung, die er sich nicht allein hätte leisten können. Zuerst zog ein Cellist des Theaters als Untermieter bei ihm ein. Rudi hasste Vladimir.
Dann jedoch kam der beste Tag im Leben des alten Mannes. Vladimir zog wieder aus – und Mick fragte ihn, ob er das Zimmer zur Untermiete haben wolle. Natürlich müsse man alles mit dem Osterhasen besprechen und Rudi müsse 190 Mark im Monat bezahlen, doch warum solle das nicht gut gehen?
Und es ging gut.
Zwar sträubte sich der Osterhase, und erklärte, dass Rudi nur einmal im Leben das Recht habe, im katholischen Männerwohnheim leben zu dürfen, doch Mick und Rudi blieben hart.
Nach Abzug der Miete blieben Rudi fast 900 Mark im Monat. So viel Geld hatte er noch nie zuvor im Leben besessen.
Zuerst kaufte er sich zwei Wellensittiche – um mit Mick, der ebenfalls zwei besaß, mithalten zu können.
Dann ging er einkaufen. Alkohol, Wurst und Käse – alles, was sein Herz verlangte.
Das Leben mit Mick war einfach schön.
Hin und wieder kamen Micks Freunde, hin und wieder rauchten sie eine Zigarette auf dem Balkon, hin und wieder brachte Rudi den Pissflecken-Anzug in die Reinigung.
Er pflasterte sei n Zimmer mit Nacktfotos aus dem Playboy . Er kaufte sich einen Videorecorder, Pornos, ein TV-Gerät und ein Fahrrad.
Und er flog nach Dallas, um die Southfork Ranch zu finden. Wochenlang hatte er an jedem Morgen mit J.R. und Sue Ellen, Miss Ellie und Bobby Ewing im neu erworbenen Fernsehgerät mitgefiebert. „Warum soll ich die nicht mal besuchen?“, dachte sich Rudi. Im Reisebüro am Rosenplatz erstand er ein Flugticket und düste mit einem kleinen Handkoffer, der eine saubere Hose und zwei Unterhosen enthielt, in die USA.
Blöd war nur eines – dass er die Southfork Ranch nie fand, und die Zeit bis zum Rückflug länger dauerte als sein Geld ausreichte. Und dass Dallas so klein war. Und dass man es so schnell umrunden konnte.
Mick klärte seinen neuen Untermieter nie darüber auf, dass Rudi die ganze Zeit im Flughafenhotel gewohnt hatte, statt es bis Dallas-Zentrum ges chafft zu schaffen. Hauptsache Abenteuer.
Kurz darauf hängte Rudi Fotos von der Herrscherin von England neben die Playboy -Bildern. Lady Di war bei einem schrecklichen Autounfall in einem Pariser Tunnel gestorben. Rudi vergaß nie, dass das an einem Sonntagmorgen im Fernseher erzählt wurde. Aufgeregt empfing er Mick, der frühmorgens aus der Disco kam, im Flur der gemeinsamen Wohnung. Sie hatten gemeinsam geweint – obwohl Rudi Lady Di zuvor gar nicht gekannt hatte.
Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Alle waren gemein zu ihr gewesen, besonders ein weißgelockter Drache von England , der sich Queen schimpfte.
Als die TV-Live-Übertragung der Beerdigung beendet war, und das schmiedeeiserne Tor von Schloss Althorp den allerletzten Blick auf den Leichenwagen versperrte, war Rudis Neugier nicht mehr zu stillen.
Wo wurde die Herrscherin beigesetzt? Etwa im Wasser des nahe gelegenen Sees? „Sie wird dort verrotten“, verriet er Mick.
Flugs eilte er zum Rosenplatz, erstand ein Ticket für eine Bustour und reiste mit einer kleinen Reisegruppe nach England. Doch das schmiedeeiserne Tor von Schloss Althorp war leider verschlossen. Also fuhr Rudi zurück.
Seine dritte – und letzte – Reise hatte ihn ins Kittchen gebracht. Dabei hatte alles so gut angefangen. Im Fernsehen wurde seit Tagen für ein Whitney-Houston-Konzert geworben. Mit Micks Hilfe erstand Rudi eine Karte für einen Platz in der allerersten Reihe. Leider kam er zu früh an. Also kaufte er sich sechs Frikadellen. Die farbige Sängerin betrat die Bühne und die Menschen warfen ihr Stofftiere zu. Rudi hatte nichts zu werfen – außer Frikadellen. Er feuerte vier auf Whitney, und hätte ihr auch noch seine beiden letzten Frikadellen geschenkt, wenn er nicht umgehend von einem netten Polizisten namens
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