Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
„Ist der Nachrichtensender okay? Oder sollen wir umschalten zu ProSieben? Gleich kommt die Nacht-Wiederholung von ‚Germany’s Next Topmodel’. Heute werden die Mädels umgestylt.“
„Ja“, sagte Montrésor.
Oder dachte er das alles? Er wusste es selbst nicht.
Dann griff der Pfleger endlich zur Spritze. „Mal sehen, wo sich noch etwas Haut findet“, sagte er.
„Hmm“, antwortete Adolf.
Er schaffte es nicht mehr, zu blinzeln. Doch er zog das rechte Bein an, als wolle er gebären und stöhnte.
„Ja, Sie möchten verdauen“, meinte der Kopfpfleger. Fahrig glitt Montrésors rechte Hand ins Leere. Dann zuckte sie in der Luft.
„Guten Morgen“, sagte Montrésor. Und hatte es endlich geschafft.
Bruno ließ sich lange Zeit, bis er zum Telefonhörer griff und im Pflegeheim anrief.
Er sah auf die Wanduhr. Es war 8.30 Uhr an einem wunderschönen, klaren Wintertag – dem 28. Dezember.
„Ihr Mann ist gestern Nacht gestorben“, verriet er Lisa, die gerade Witwe geworden war. „Montrésor ist friedlich eingeschlafen.“
Marisabel zwischen den Jahren
„Es riecht ja gar nicht mehr nach Rauch!“
Wie an jedem Tag in den vergangenen Wochen läutete Marisabel Prinz auch heute pausenlos nach den Pflegern. Doch diesmal gestand sie sofort, geklingelt zu haben, als der schusselige Hendrik ihr Zimmer betrat.
„Warum raucht Herr Montrésor nicht mehr?“
Der Pfleger setzte sich an ihr Bett. „Herr Montrésor ist gestern Nacht gestorben.“
Im Blick der Hundezüchterin spiegelte sich Resignation. „Das habe ich mir schon gedacht“, sagte sie müde. „Dann bin ich jetzt derjenige Gast, der am längsten in Haus Holle wohnt… Ich habe alle überlebt.“
„Sie haben Sonja vergessen“, korrigierte Hendrik die Hundezüchterin. „Sie sind am zweitlängsten hier.“
„Ach – die lebt immer noch?“, fragte Marisabel erstaunt. „Verwunderlich, dass ein Mensch so lange durchhalten kann… Aber mit mir geht’s ja auch nicht zu Ende – obwohl ich seit langem bereit bin.“
Sie bat den Pfleger um eine Schlaftablette, um ihr Schicksal und ihre Langeweile für ein paar Stunden vergessen zu können.
Der Tod ihres Mannes hatte Frau Montrésor einen heftigen Schlag versetzt. Aber sie weinte keine Träne, als sie vor Adolfs Totenbett stand.
Wie lange war sie mit diesem fremden Mann verheiratet gewesen? Nichts erinnerte sie an ihn, und doch schossen plötzlich Gedanken durch ihren Kopf.
Da war doch was gewesen… das Kartenspiel… ein Auftrag… der Käse… die alte Dame… richtig, Adolf hatte sie losgeschickt, um eine Nachricht zu übermitteln… Hatte sie das schon getan? Sie wusste es nicht mehr. „Doppelt hält besser“, dachte sie, eilte durch den langen Flur und betrat Zimmer 6, ohne anzuklopfen.
Im Bett lag eine Dame mit gelbem Gesicht.
„Ich habe eine Botschaft für Sie“, ratterte Lisa den Inhalt der Nachricht herunter, soweit sie sich erinnern konnte. „Mein Mann hat mich geschickt. Es geht um den Käse. Mein Mann wundert sich, dass jemand an den Tellern war, der dort nichts zu suchen hatte. Er findet das komisch. Er möchte Ihnen sagen, wer das gewesen ist!“
Die weißgelbe Frau starrte sie an. „Bitte schließen Sie sofort die Tür, Olimpia.“ Jetzt erst fiel Lisa Montrésors Blick auf eine zweite, unglaublich große Frau, die in einem Sessel saß und strickte. Außerdem war Minnies Tochter Clara anwesend.
„Ist das hier eine Damengesellschaft?“, fragte die Witwe und lächelte. „Legen Sie auch Patiencen?“
„Nein“, sagte die gelbweiße Frau. „Aber ich habe eine wichtige Frage an Sie. Heute wurde mir mitgeteilt, dass Ihr Mann gestern verstorben ist. Stimmt das?“
„Mein Mann ist tot?“
Frau Montrésor fasste sich hilflos an die Stirn. „Das ist gut möglich. Wie heißt er denn?“
Die weißgelbe Dame sah die große Frau an und zuckte mit ihren Schultern.
Frau Montrésor lächelte. „Und was mache ich hier? Ist das hier eine Damengesellschaft?“
„Ja“, antwortete Minnie. „Das hier ist eine Damengesellschaft. Wir sind lauter reizende, alte Damen. Sie bleiben am besten bei uns.“
Mike betrat Haus Holle um 17.30 Uhr.
Dr. Albers ließ ihn herein. „Sie wollen bestimmt zu Minnie? Ich frage mal, wie es ihr geht.“
„Das ist nicht nötig“, erwiderte der junge Reporter. „Ich habe vorhin mit Minnie telefoniert. Sie war wohlauf und will mich sehen.“
„Schön, dass Sie sich Zeit für sie nehmen“, erwiderte Dr. Albers
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