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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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seiner Morgenrunde fragen, ob sie einen haben möchten.“
    Er sah Minnie direkt in die Augen. „Was ist Ihre Lieblingsspeise?“
    „Alles außer Graupen.“
    „Okay“, sagte Bruno. „Gibt’s Nahrungsmittelunverträglichkeiten?“
    „Nein.“
    Der Pfleger klappte seine Kladde zu und wandte sich an seinen Kollegen. „Jetzt können Sie loslegen, Herr Doktor.“
    Dr. Coppelius wedelte mit einem Aktenordner. „Das sind Ihre Patienteninformationen, Minnie. Der Akte kann ich entnehmen, dass Ihnen bislang nur leichte Schmerzmedikamente verordnet worden sind. Das werden wir nun ändern, indem wir Sie anders einstellen. Aufgrund Ihres Krankheitsverlaufs ist damit zu rechnen, dass Ihr Tumor im Unterleib aufbricht. In diesem Fall würden Sie Schmerzen erleiden. Um dem vorzubeugen – und gleichzeitig Ihre Lunge zu entlasten – werde ich Sie auf Morphium umstellen. Sie bekommen es in Tablettenform.“
    „Ist Morphium nicht eine Droge?“, fragte die alte Dame. „Werde ich davon nicht abhängig?“
    „Das ist eine Sorge, die fast alle älteren Gäste beschäftigt“, erklärte Dr. Coppelius. „Doch die Antwort lautet nein.“
    „Um süchtig zu werden, müssten Sie sehr lange leben“, ergänzte Bruno. „Obendrein würden Sie die Sucht erst bei einem Entzug spüren. Den müssen Sie nie mehr machen.“
    „Aber werden meine Sinne nicht durch das Morphium vernebelt?“
    Dr. Coppelius musterte die Dame und schüttelte den Kopf. „Bei Ihrer Statur?“
    Dann korrigierte er sich. „Möglich wäre es. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Patienten, die…“
    „… wenig Speck auf den Rippen haben“, warf Bruno ein, „stärker durch Morphium beeinflusst werden als Mollige. Ihre Statur jedoch scheint normal zu sein.“
    Dr. Coppelius blickte der alten Dame fest in die Augen. „Wenn Sie wirklich unter Wahrnehmungsstörungen leiden sollten, stellen wir die Dosis wieder um. Es gibt unzählige Mittel, die Ihnen helfen. Wichtig ist nur eines: Wir müssen Sie so einstellen, dass keine so genannten Schmerzspitzen entstehen. Darunter ist das erste leise Aufflackern von Schmerz zu verstehen.“
    „In Ordnung“, sagte Minnie. „ Heißt das, dass mir nie etwas weh tun wird?“
    „Wenn Sie sich den Kopf stoßen, spüren Sie die Beule natürlich“, antwortete Dr. Coppelius. „Aber durch unsere Medikamente werden Sie schmerzarm sein. Völlige Schmerzfreiheit kann Ihnen niemand garantieren. Wir werden die Qualen so sehr reduzieren, dass der Restschmerz Sie weder beim Denken noch in Ihren Handlungen behindert.“
    Er legte eine große, weiße Tablette in einen kleinen Messbecher. „Die ist jeden Abend zu nehmen, vor Ihrem Nachtmahl. Immer zur gleichen Uhrzeit.“
    „Woher kommt mein Schmerz überhaupt“, fragte Minnie.
    „Die meisten Schmerzen entstehen, wenn ein Tumor Rezeptoren reizt – zum Beispiel in der Haut, in den Gelenken oder in den Nervenbahnen“, erklärte Dr. Coppelius. „Wie stark beziffern Sie Ihren bislang stärksten Schmerz auf einer Zehner-Skala?“
    „Sechs“, antwortete Minnie ehrlich.
    „Dann haben wir jede Menge Luft nach oben“, sagte Dr. Coppelius. „Mit Morphium wurden Sie bislang kein einziges Mal behandelt.“ Er gab ihr eine zweite Pille. „Dieses Mittel heißt Tavor. Bitte nehmen Sie es, wenn Sie unter Luftnot leiden. Tavor unterdrückt Panik im Keim. Dadurch wird sich Ihre Atmung wieder normalisieren.“
    „Welche Nebenwirkungen haben diese Mittel?“, fragte Minnie, während sie die große und die kleine Pille in Augenschein nahm.
    „Durch das Morphium könnte eine Darmträgheit einsetzen. Und eine leichte Verneblung der Sinne. Vielleicht auch ein Aufblähen des Bauches. Mehr müssen Sie nicht befürchten.“
    Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Jetzt ist es genau 18 Uhr. Bitte nehmen Sie das Morphium immer um diese Zeit.“
    „Und wenn ich nachts mal Angst bekomme?“
    „In diesem Fall wird Ihnen unsere Nachtschicht helfen. Die Pfleger in Haus Holle arbeiten in drei Schichten. Auch von 21 Uhr bis sieben Uhr morgens sind immer zwei Pfleger anwesend – einer im ersten, der andere im zweiten Stock. Sie müssen nur klingeln.“
    Der Arzt reichte Minnie ein Glas mit Wasser, und die alte Dame schluckte ihre erste Pille.
     
    Eine Viertelstunde später saß Minnie wieder auf dem Sofa vor ihrem Zimmer.  Sie hörte das Glucksen von Professor Pellenhorn – und dass Marisabel Prinz aus ihrer Zeit als erfolgreiche Hundezüchterin erzählte.
    „ Etwas Ruhe“, dachte Minnie. Die

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