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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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alte Dame dämmerte leicht vor sich hin, und nahm nur verschwommen wahr, dass sich jemand auf der Treppe befand. Es war jemand, den sie noch nicht kannte – mit Nepomuk im Gefolge. Jemand, der von oben kam. Sie sah einen dunklen Schatten. Minnie kniff die Augen zusammen. Wer war das? Ein Kind?
    Ohne Minnie eines einzigen Blickes zu würdigen, huschte die schwarze Gestalt zur Seite. Bevor sie verschwand, schaute sie die alte Dame tückisch an und sprang so flink wie ein Wiesel zur Treppe. Obwohl die Begegnung keine Sekunde gedauert hatte, erkannte Minnie, dass das unheimliche Wesen kein Kind gewesen war, sondern ein faltiger Greis. Sein Kopf wurde von Flusen bedeckt, doch sein Körper war zart und fein.
    „Was war das?“, dachte Minnie erschrocken und erinnerte sich an Marisabels Warnung vor dem Bewohner des dreizehnten Zimmers…
    „Des dreizehnten Zimmers?“ Brunos Stimme holte sie schlagartig in die Realität zurück. Plötzlich stand der Pfleger neben dem Sofa. Minnie hatte seine Ankunft nicht bemerkt. Bruno musterte die alte Dame besorgt. „Was haben Sie gerade gesagt? Phantasieren Sie? Kommen Sie, Minnie, das Nachtmahl ist fertig!“

Minnie lauscht
     
     
    Minnie erwachte aus einem tiefen Schlaf. Erschrocken blickte die alte Dame auf die Uhr. Schon elf Uhr vormittags! So lange schlief sie sonst nie. Und was war gestern Abend geschehen? Sie stellte fest, dass sie sich nicht daran erinnern konnte, zum Nachtmahl im Esszimmer gewesen zu sein. Auch an das Klavierkonzert fehlte ihr jede Erinnerung.
    Jumbo jedoch lag halb zugedeckt neben ihr. Im Halbschlaf musste sie das uralte Stofftier sorgfältig mit einem Spitzendeckchen vor kalten Luftzügen geschützt haben. Anscheinend war sie selbst zu Bett gegangen.
    In diesem Moment klopfte es, und die alte Dame erblickte einen blauen Haarschopf. Koch Kostja steckte seinen Kopf zur Tür hinein. „Darf ich hereinkommen? Ich habe bereits zweimal geklopft, weil das Schild mit der Aufschrift Bitte nicht stören nicht an der Klinke hängt…“
    „Natürlich! Habe ich etwa das Frühstück verpasst?“
    Minnie drückte auf einen Knopf und das Kopfteil ihres Bettes stellte sich automatisch hoch. Jetzt konnte sie die wachen Augen des jungen Koches besser sehen.
    Kostja setzte sich zu ihr. „Möchten Sie ein spätes Frühstück genießen? Vielleicht ein weiches Ei, etwas Obst, ein Brötchen und frischen Camembert?“
    „Geht das noch?“
    „Kein Problem. Außerdem habe ich heute wieder einen frischen Vitaminsaft gemixt – aus Kirschen, Bananen und kühlem Joghurt, aufgefüllt mit etwas Milch. Lust?“
    Minnie nahm das Getränk dankend entgegen. Es schmeckte wunderbar.
    „Ich verstehe nicht, warum ich so lange geschlafen habe.“
    „Soweit ich weiß, kommt Dr. Coppelius gleich zu Ihnen, um Sie zu fragen, wie Sie die gestrige Medikation vertragen haben. Im Zweifelsfall können Ihre Schmerzmittel heruntergestuft werden. Beim ersten Mal passiert so etwas öfter.“
    „So etwas?“, fragte Minnie.
    „Sie sind gestern beim Abendessen eingenickt und danach wie ein Stein ins Bett gefallen“, erklärte der junge Koch lächelnd. „Werden Sie heute zum Mittagessen nach unten kommen?“
    „Natürlich! Ich habe schließlich lange geschlafen.“
    „Worauf haben Sie Appetit?“ Minnie musste nicht lange überlegen. „Auf Hühnerfrikassee!“
    Der Koch notierte sich den Wunsch. „Wissen Sie, dass Sie damit voll im Trend liegen?“
    „Inwiefern“?
    „Nun, das wünschen sich die meisten Gäste als erstes von mir!“
    Die alte Dame musste lachen. „Was steht sonst oben auf den Wunschlisten der Gäste?“
    „Gulasch, Frikadellen, Rouladen, Ragout, Königsberger Klopse und Matjes. Das mögen fast alle, egal, welchen Alters. Es gibt auch viele Gerichte, die mancher Gast zum ersten Mal in seinem Leben probiert –  zum Beispiel Lasagne!“
    „Die habe ich schon oft gegessen,“ sagte Minnie. „Doch mich interessieren noch zwei andere Dinge…“
    „Was denn?“ Kostja horchte neugierig auf.
    „Erstens, ob es Ihnen wohl gelingen würde, ein uraltes Gericht zu kochen, mit dem mich meine Urgroßmutter immer verwöhnt hat.“
    „Natürlich – wenn Sie mir das Rezept nennen! Worum handelt es sich?“
    „Bratkartoffeln mit Speck und Bohnen!“
    „Oje“, meinte Kostja. „Gerichte die so einfach klingen, sind meistens am schwersten zu kopieren. Ich schlage Ihnen etwas anderes vor: Wir könnten gemeinsam an Ihren Bratkartoffeln arbeiten, bis sie so schmecken wie bei Ihrer

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