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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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tatsächlich.
    „Bestimmt wieder jemand, der anruft, und nicht antwortet“, schimpfte die Kranke. „Ich habe doch gesagt, dass das schon seit Stunden so geht.“
    Hilflos blickte Hendrik sie an, aber nun ging sein Piepser los.
    Zimmer 12, Herbert Powelz.
    „Ich muss Euch kurz alleine lassen“, rief der Pfleger. „Aber ich bin gleich zurück.“
     
    „Mein Mann braucht eine Tavor-Tablette gegen seine Panik!“
    Hendrik  hatte Anne Powelz, die Frau des Gastes in Zimmer 12, bislang noch nicht kennengelernt. Dennoch wusste er einiges über sie – vor allem, dass ihr Mann Herbert nicht wollte, dass sie von seinem Bett wich. Gemeinsam mit ihrem Sohn war Frau Powelz fast 24 Stunden am Tag in Zimmer 12. Auch Herberts Tochter war häufig anwesend. Hendrik hatte gehört, dass die einst glückliche Familie in der schweren Zeit noch enger aneinander gerückt war, und sie Unterstützung von Ordensschwester Serva erhielten. Servas geistlicher Beistand tat Herrn Powelz sehr gut. Sie hatte bereits einmal veranlasst, dass er die so genannte Krankensalbung von einem Pfarrer erhielt.
    Um den 63-Jährigen stand es schlecht. Herr Powelz wollte sein Zimmer nicht mehr verlassen, er konnte nicht mehr schlucken, er hatte Lungenkrebs und er litt ständig unter Luftnot. Dagegen half Tavor.
    Trotzdem wirkte Frau Powelz aufgelöst.
    Nach dem Einzug ihres Mannes hatte sie sich ein Gästebett in Zimmer 12 stellen lassen, und seit Wochen kaum noch geschlafen. Ihr Mann wurde von schrecklichen Hustenanfällen heimgesucht. Im halbdunklen Zimmer wirkte Annes Gesicht zerknittert. Ihre weißen Haare standen wirr ab.
    Hendrik drückte Annes Hand, und versprach: „Ich bin in zwei Minuten zurück – mit dem Tavor.“
    Dann rannte er über den Flur.
    Doch bevor er das Pflegezimmer erreichte, läuteten Nadine Nisse, Annette Müller und Sonja Merkel zeitgleich. 
    Der Pfleger verzweifelte. Jetzt schlief nur noch Frau Prinz im zweiten Stock.
     
    Die ganze Sache war nicht lustig.
    In einer Slapstick-Komödie, und wenn es sich um ein anderes Haus gehandelt hätte, hätten sich die Zuschauer totgelacht angesichts des immer neuen Piepsens und Rennens. Jede Comicfigur wäre am Ende umgekippt.
    Wie eine Rennmaus hetzte Hendrik von Zimmer zu Zimmer, während der dicke Dietmar Cristiano zuhörte.
    „… und deshalb habe ich mich entschlossen, mich in einem amerikanischen Truhensarg ausstellen zu lassen“, verriet der Gelähmte. „Bei dem lässt sich die obere Hälfte aufklappen. Außerdem hält er jahrelang – Du weißt schon, wegen der Würmer und der Verwesung. Meine Freunde sollen den Sarg mit Rosen bemalen.“
    Der Kranke malte das Bild, das vor seinem inneren Auge entstanden war, noch realistischer aus. „Meine Freundin legt mir einen gesegneten Rosenkranz in den Sarg. Vom Pastor bekomme ich eine gesegnete Engelsfigur.“
    „Und welche Musik soll gespielt werden?“ Dietmar interessierte das wirklich.
    „Bei meiner Beerdigung soll Musica e von Eros Ramazotti laufen“, antwortete Cristiano.  „Und ich möchte, dass meine Freunde das Lied Niemals geht man so ganz hören. Außerdem wird meine Mutter eine Rede über Schutzengel halten.“ 
    Er sah Dietmar tief in die Augen. „Weißt Du eigentlich, wie gut Ihr Pfleger mir tut? Bis auf einen kleinen Rest Angst fürchte ich das Sterben kaum noch. Aber den hat bestimmt jeder.“
    Dietmar nickte. Cristiano hatte ins Schwarze getroffen. Er sagte: „99,9 Prozent unserer Angst vor dem Tod können wir abschütteln, wenn wir uns mit dem Thema beschäftigen. Doch 0,1 Prozent sind nicht loszuwerden.“
    „Das ist unsere Urangst“, meinte der junge Portugiese. „Aber ich weiß noch etwas anderes: Dass ich wiedergeboren werde. Das haben mir meine ganzen Déja-vû’s verraten. Inzwischen weiß ich, dass ich schon oft auf dieser Erde war, und dass meine Seele so komplett ist, dass ich nach dem nächsten Tod ein Engel sein werde. Dann beschütze ich meine Freundin.“
    Er lächelte und bat den Pfleger, seine Hand zu halten. Das geschah zum ersten Mal. Es war für den dicken Dietmar schwieriger, als von Cristiano beschimpft zu werden. An Letzteres hatte er sich längst gewöhnt.
    In diesem Moment wurde die Tür zu Cristianos Zimmer aufgerissen, und Hendrik erschien auf der Bildfläche. Mit hochrotem Kopf der Pfleger: „Komm schnell, Dietmar! Annette ist gerade zusammengebrochen!“
     
    Annette Müller lag in einer Pfütze aus Erbrochenem.
    Gemeinsam hievten sie Dietmar und Hendrik ins Bett. Die Kranke

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