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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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sie für eine Lehrerin gehalten worden. Dabei hatte sie Küche, Kinder und ein Geschäft für Tapeten, Lacke und Farben, das ihr Mann im fortgeschrittenen Lebensalter im Keller ihres Bungalows gegründet hatte, gemanagt.
    Sie nickte verständnisvoll.
    „Dass mir das passieren musste“, fuhr Adolf fort. „Nicht genug, dass meine Frau Alzheimer hat – jetzt liegt sie auch noch im Krankenhaus. Sie wird  wochenlang nicht kommen können. Womit habe ich das verdient?“ Zitternd griff seine Hand nach einer Schnabeltasse. „Vielleicht mögen Sie mich mal besuchen? Ich wohne in Zimmer 3!“
    Zuerst wollte Anne nichts versprechen. Dann tat sie es trotzdem: „Ich werden Ihnen mal meinen Sohn schicken. Ihm wird Ablenkung auch gut tun – und er ist ein guter Gesprächspartner.“
    „Wie alt ist er denn?“, fragte eine Stimme am anderen Ende des Tisches. Omi bekundete ihr Interesse mit vollem Mund.
    „37“, antwortete Anne.
    „Spielt er Mensch ärgere Dich nicht ?“
    „Das müssen Sie ihn selbst fragen!“
    Anne musterte die alte Dame mit der schief sitzenden, blonden Perücke und ihrem Polyester-Oberteil. Sie sah, dass Omi in einem Rollstuhl saß, an dessen Seite ein Katheter voller Urin baumelte und entgegnete einfühlsam: „Vielleicht schiebt er Sie mal ins Freie…“
     
    „Nicht, dass er denkt, ich wolle etwas von ihm!“
    Kaum war Anne Powelz zurück bei ihrem Sohn, musste sie auch schon laut lachen. „Das hat sie allen Ernstes gesagt.“
    „Ich hoffe, Du hast Ihr gesagt, dass ich schwul bin“, entgegnete ihr Sprössling und legte den zwölften Krimi, den er seit der Zeit im Hospiz las, Rendezvous mit einer Leiche von Agatha Christie, beiseite.
    „Das kannst Du ja selbst übernehmen…“
    Mutter und Sohn spielten sich gegenseitig die Bälle zu. Dann erzählte Anne Mike haarklein die Geschichte der Zwillingsbrüder, und was Dr. Albers ihr geraten hatte.
    Als Herbert erwachte, stoppte sie abrupt. 
    „Ich sehe einen großen Saal“, murmelte der Kranke benommen. „Ich sehe einen kleinen Jungen, der ganz allein vor den vielen Türen steht. Durch welche soll er gehen?“
    Erschrocken blickte Mike seinen Vater an und drückte den Alarmknopf. „Papa phantasiert!“
    Zwei Minuten später war Bruno zur Stelle. Der Pfleger musterte den Kranken und wandte sich dann den Angehörigen zu. „Kein Grund zur Sorge. Herbert hat bloß ein leichtes Delirium.“
    Fünf Minuten später war Herr Powelz wieder bei Sinnen, und rieb sich den Kopf. „Was für Sachen denke ich eigentlich?“
    Er war erschrocken über sich selbst. „Ich bin so müde – bringt mich ins Bett!“
    „In Ordnung, Papa“, sagte Mike. „Du bist jetzt im Bett.“
    Ängstlich sahen sich Mutter und Sohn an.
    „Nein, ich will sofort wissen, was mit mir los ist!“ Ein schrecklicher Hustenanfall schüttelte Herbert. Sofort war Anne mit einer Metallschale zur Stelle. Wie nach jedem Erwachen hustete ihr Mann so lange, bis ein graubrauner, stinkender Tumorschleim aus seiner Kehle kam. Er war so zäh wie Kaugummi.
    „Was ist los mit mir?“
    Ernst sah Bruno Herbert in die Augen. „Das wissen Sie selbst am besten, Herr Powelz“, antwortete der Pfleger. Geschickt spielte er die Frage zurück: „Was ist denn los mit Ihnen?“
    Der Kranke lächelte. „Ach so, ich bin ja in Haus Holle.“
    Lächelnd ergriff er die Hand seiner Frau. „Gut, dass Du da bist! Weißt Du was? Hier möchte ich Weihnachten feiern. Und Sie“ – er wandte an Bruno – „Sie übernehmen mein Geschäft für Farben, Lacke und Tapeten.“
    „Das kann ich nicht, Herr Powelz“, antwortete der Pflegehelfer. „Ich arbeite ja schon hier im Hospiz.“
    „Dann Du!“
    Mike nickte, und Annes Augen füllten sich mit Tränen.

Der Zauberer
     
     
    Eine Woche später als geplant kehrte Minnie ins Hospiz zurück. Es ging bereits auf Mitte November zu. „Zuerst gab es Komplikationen mit der Blutwäsche“, berichtete sie Marisabel, die an ihrer Hundetasse nippte. „Danach brauchte ich noch zwei weitere Bluttransfusionen.“
    „Sie sehen viel frischer aus“, meinte die Hundezüchterin. „Gestärkt, will ich meinen, irgendwie besser.“
    „Ich fühle mich auch viel stärker!“
    Tatsächlich hatten die Bluttransfusionen – und die vom Hospiz verordnete Dosis Morphium – der alten Dame einen Großteil ihrer früheren Kraft zurückgeschenkt.
    Doch Marisabels Gedanken waren längst weiter gewandert. „Hier ist ja so viel passiert.“
    In sich gehend starrte sie in ihre leere

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