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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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denn?«
    »Darin empfange ich meine Visionen.« Er verstummte, um meine Reaktion abzuwarten. »Ihr wirkt überrascht. Einen Kessel habt Ihr gewiss nicht erwartet, nicht wahr?« Er schmunzelte. »Er enthält Wasser. Das ist alles, was ich benötige.«
    Er reichte mir einen Krug mit Bier. Danach begann er, in seinen Dokumenten zu wühlen. Ich nutzte die Unterbrechung, um in die Kupferwanne zu spähen. Zu meiner Enttäuschung war sie leer.
    »Bitte setzt Euch. Ich habe etwas für Euch.« Mit diesen Worten drückte er mir eine Schriftrolle in die Hände. Beim Aufwickeln stellte sie sich als Sternkarte heraus, die die Bewegungen der Planeten zeigte und mit komplizierten Diagrammen und mathematischen Erläuterungen gespickt war. Allmählich wurde die Luft stickig, und ich fragte mich, ob er vielleicht die Atmosphäre, in der er lebte, alchemistisch in irgendetwas anderes verwandelte.
    »Diese Karte stellt eine Zusammenfassung von zehn Jahren Eurer Zukunft dar. Darin sind wichtige Ereignisse enthalten, die Euer Leben prägen werden. Sie ist der Grund Eures Hierseins, nicht wahr? Ihr wollt wissen, ob meine Prophezeiungen zutreffen?«
    Ein Schauer jagte mir über den Rücken. Das war ganz und gar nicht der Grund meines Kommens. Zumindest meiner Meinung nach.
    Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ihr zweifelt immer noch an mir. Habe ich nicht den Tod Eures Gemahls vorausgesagt? Habe ich nicht erklärt, dass Ihr herrschen werdet, und führt Ihr jetzt nicht die Regierungsgeschäfte an Stelle Eures Sohnes Charles?«
    Ich starrte ihn an. »Ich dachte, Ihr hättet gesagt, Ihr würdet Eure eigenen Prophezeiungen nicht verstehen.«
    »Das kann ich auch nicht, jedenfalls nicht, während ich sie ausspreche. Erst nachdem das Ereignis eingetreten ist, wird ihre Bedeutung klar.«
    »Ich verstehe.« Ich breitete die Rolle auf seinem Pult aus. Der Appetit auf Prophezeiungen war mir gründlich vergangen, vor allem auf solche, die ich ganz allein entschlüsseln musste.
    »Ihr habt Maestro Ruggieri in Eurem Gefolge behalten, wie ich annehme?«, fuhr Nostradamus fort. »Er kann die Karte interpretieren. Sie enthält nichts Obskures, nur meine Beobachtungen, die auf dem jahrelangen Studium der Sternkonstellation zur Stunde Eurer Geburt beruhen.«
    Ich konnte aus seiner Stimme keinerlei Verurteilung heraushören, und dennoch schämte ich mich auf einmal dafür, dass ich seine Warnung vor meinem Astrologen nicht beachtet hatte. »Ruggieri ist derzeit nicht bei mir«, erklärte ich.»Könnt Ihr mir nicht einfach verraten, was das hier bedeutet?«
    »Das würde zu viel Zeit erfordern. Eines kann ich Euch aber sagen: Ihr müsst den Prinzen von Navarra schützen.«
    Mein Magen verkrampfte sich. Ich hatte eine lebhafte Erinnerung an den Jungen, den ich einst umarmt hatte, und an meine Vision von ihm, die in vielen Jahren eintreten konnte – stolz und zuversichtlich mit einer weißen Feder im Barett auf einem schwarzen Schlachtross thronend …
    »Ihr müsst über ihn wachen«, fügte Nostradamus hinzu, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ihr und er seid die zwei Hälften eines Ganzen. Ihr braucht einander, um Euer Schicksal zu erfüllen.«
    »Der Junge ist fast zwölf Jahre alt und lebt bei seiner Mutter«, begann ich, um dann tief durchzuatmen, ehe ich zum ersten Mal zu fragen wagte: »Jeanne herrscht über Navarra, als ob es eine Welt für sich wäre. Und weil es zwischen uns und Spanien in den Pyrenäen liegt, ist das vielleicht sogar wirklich der Fall, denn sie ist dort abgeschirmt von all den Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Eines Tages wird ihr Sohn das Reich erben. Wie kann er so wichtig für mich sein?«
    »Er ist es«, erwiderte Nostradamus in einem so sicheren Ton, als bedürfte es keiner weiteren Erklärung, und reizte mich damit schier zur Weißglut. »Dennoch ist unsere Zukunft fließend. Wäre sie das nicht, könnte man ja gleich aufhören zu leben.«
    Warum musste er sich immer so unklar ausdrücken? Und doch, wenn er über meine Zukunft Bescheid wusste … Ich griff nach meinem Kelch und trank einen tiefen Schluck. »Und meine eigenen Söhne …?« Schon während ich fragte, befiel mich eine tiefe Angst. Mein Ältester, François, war jung gestorben. War meinen anderen Söhnen auch ein frühes Grab bestimmt?
    »Die Kinder, die Euch geblieben sind, werden das Erwachsenenalter erreichen«, versicherte er mir zu meiner Erleichterung. Er rollte die Karte zusammen und verstaute sie in einem Lederzylinder. »So

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