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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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nicht hören; meine Seele begehrte dagegen auf. Wie erstarrt stand ich da, bis Lucrezia plötzlich vor mir auftauchte und flüsterte: »Hoheit, gleich kommt ein Wächter. «
    »Entschuldigt mich, wir sprechen später weiter, ja?«, raunte ich Birago zu und wandte mich von seinem wissenden Blick ab, um mich in meinen Umhang zu hüllen und in die Nacht hinauszutreten. Was der Wächter zu berichten hatte, wollte ich nicht hören; ich wusste es bereits. Le Balafré, mein Feind, der mich seit meinem ersten Tag in Frankreich erniedrigt und beleidigt hatte, war tot. Die Sache der Katholiken hatte ihren Führer verloren. Und mir stand es wieder frei, meine Herrschaft auszuüben.
    Ich schritt über die versengten Felder, atmete den Geruch von Rauch und am Spieß gebratenem Fleisch aus den Lagern der Soldaten ein, sah die beschädigten Türme der Kathedrale wie zerklüftete Zähne vor dem Horizont aufragen. Dann blieb ich stehen, um die eisige Luft einzuatmen, und hob den Blick zu dem von Nebelschwaden eingehüllten Mond.
    Erst jetzt gestattete ich mir, das Undenkbare zu denken: Was, wenn das alles stimmte? War Coligny in seiner Verzweiflung über die bevorstehende Niederlage zum Mörder geworden? Hatte er seine eigenen Ideale, seinen hohen moralischen Anspruch geopfert, um seinen Glauben zu retten?
    Ein Schauer jagte durch mich hindurch. Das wollte ich nicht glauben. Ich erinnerte mich an den Stolz in seinem Gesicht, als er mich in den Stall bei Vassy geführt hatte, an seine Wut und sein Entsetzen über den Tod all der Unschuldigen, doch ich weigerte mich zu akzeptieren, dass eine derartige Gräueltat seine Seele entstellt haben sollte. Wir hatten gemeinsam für den Frieden gekämpft, immer das Wohl aller vor Augen. Wenn er des Mordes an le Balafré für schuldig befunden wurde, hätte das zur Folge, dass sein Name für immer beschmutzt wäre und die Katholiken die Hugenotten in einer niemals endenden Fehde bekämpfen würden. Es erschien mir schlicht unmöglich, dass der Mann, den ich als so vorsichtig und klug kannte, alles auf ein derart tollkühnes Spiel setzte.
    Und doch musste ich, während ich allein auf dem vom Krieg versengten Feld stand, zugeben, dass Biragos Kritik durchaus einleuchtend war, so harsch sie auch wirkte. Wenn ich Coligny an den Hof zurückholte, würde ich den Rest der Welt gegen mich aufbringen, einer Welt, um deren Erhalt ich im Namen meines Sohnes kämpfte. Auch wenn ich le Balafré noch so sehr verabscheute, konnte ich mir schon jetzt ausmalen, wie unsere Katholiken und Philipp von Spanien diese Nachricht aufnehmen würden – und welche Saat nach dieser Tat aufgehen würde: ein Bürgerkrieg, der ganz Frankreich auseinanderreißen würde. Bereits jetzt warf diese Tat unerbittlich ihren Schatten auf Coligny und seine Sache, einen Schatten, den nicht einmal ich vertreiben konnte. Unser Traum war vorbei. Jetzt musste ich tun, wozu mir Birago riet. Ich musste Frankreich retten.
    Sentimentalität konnte ich mir nicht leisten; dafür war einfach keine Zeit.
    Ich hatte ein Königreich zu schützen.

    Am 13. Mai 1563 feierte ich meinen vierundvierzigsten Geburtstag.
    Da ich seit le Balafrés Tod in Arbeit schier ertrank, konnte von einer Feier nicht die Rede sein. Seit Stunden drängten sich die Leute bei peitschendem Wind in den Pariser Straßen, um zu verfolgen, wie sein Sarg vorbeigetragen wurde, und wie um einen Märtyrer zu klagen und zu schluchzen. Jeder Adelige von Rang und Namen nahm an der eindrucksvollen Beisetzung in der Kathedrale Notre-Dame teil. Nur einer fehlte. Ich hatte Coligny befohlen, sich auf sein Gut in Châtillon zurückzuziehen, bis die Untersuchung des Mordes am Herzog abgeschlossen war. Um diejenigen Katholiken zu besänftigen, die lauthals seinen Kopf forderten, ließ ich den Attentäter Méré auf dem Place de Grève vor der Öffentlichkeit zwischen vier Pferde spannen und vierteilen, ein abscheuliches Spektakel, dem ich selbst nicht beiwohnte.
    Der Krieg war vorbei. Mit dem Tod Antoines von Navarra und le Balafrés war das Triumvirat erloschen, und ich bestätigte meinen Anspruch auf die Regentschaft und mein Toleranzedikt. Freilich wusste ich, dass das nicht genügte. Unser Konflikt hatte ganz Frankreich verwüstet. Ich musste das Vertrauen der Hugenotten in meine Politik der Toleranz zurückgewinnen und gleichzeitig die Katholiken lehren, meine Herrschaft zu respektieren.
    »Wie wäre es, wenn wir durch das Land ziehen?«, fragte ich Birago, während wir beide an unseren

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