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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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Aber noch unerträglicher war mir seine Allmachtspose, seine felsenfeste Überzeugung, dass er immer recht habe, weil er ein Guise war.
    Monseigneur faltete die biegsamen Hände vor dem Mund, um sein amüsiertes Lächeln zu verbergen. »Ihr seht blass aus, Madame. Vielleicht solltet Ihr Euch zurückziehen.«
    Ich wandte mich um, ohne den Boden unter meinen Füßen zu spüren.
    »Ihr werdet Euch zu den Hinrichtungen einfinden, wenn der Tag feststeht«, hörte ich le Balafré in meinem Rücken blaffen. »Der ganze Hof hat dort präsent zu sein. Wir dulden keine Abwesenheit, außer der unserer Königin und Ihrer Königlichen Hoheiten.«
    Ich blickte zu ihm zurück. »Ich würde sie mir nicht entgehen lassen«, sagte ich und ließ sie mit gerunzelten Mienen zurück, als fragten sie sich, was ich wohl damit gemeint haben könnte. Doch kaum war die Tür hinter mir ins Schloss gefallen, spürte ich das bodenlose Entsetzen und die unbändige Wut, die mir wie Gift durch die Adern rannen.

    Wir versammelten uns im Schlosshof von Amboise. Ich trug einen Schleier vor dem Gesicht und saß abseits; ich war die Einzige in Schwarz, während der Hofstaat in festlicher Garderobe auf den Tribünen Platz nahm, wie für ein Turnier. Im Hintergrund war das gedämpfte Gebrüll der Löwen in der Menagerie zu hören.
    Monseigneur führte François im Königsornat herein und setzte ihn unter einen Baldachin, das wachsbleiche Gesicht fast ganz unter seinem übergroßen Barett verborgen. Er wirkte kränklicher denn je, doch als ich mich erhob, um zu ihm zu eilen, gebot le Balafré mir Einhalt.
    »Seine Majestät ist hier, weil er sehen will, wie die Ketzer für ihre Verbrechen büßen.«
    »Dann sollte ich an seiner Seite sein«, sagte ich. Monseigneur nickte; er hielt sich eine Ambrakugel vor die Nase. Ich konnte ihn kaum ansehen, als ich mich neben meinen Sohn setzte, der die Armlehnen seines Sessels so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
    Wachen schleiften die ersten zehn Gefangenen heran. Ihre Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, und ihre Gesichter waren von meinem Platz aus nur undeutlich zu erkennen, aber ich sah, dass sie noch jung waren. Der Magen zog sich mir zusammen, als ich daran dachte, wer sie wohl waren: Bauern, Landbesitzer oder Kaufleute; ob sie einst wohl geborgen in ihren Heimstätten gelebt, mit ihren Frauen geschlafen, ihre Kinder geliebt und schließlich versucht hatten, der unbegreiflichen Welt durch einen neuen Glauben Sinn zu geben, der versprach, was unserer ihnen vorenthalten hatte.
    Verurteilte Verräter hatten Redeverbot, doch als der erste junge Mann uns entdeckte, eine Versammlung von Schatten, rief er: »Gnade, Eure Majestät! Gnade …«
    Weiter kam er nicht. Der Henker schwang das Schwert und ließ seinen Kopf fliegen. Das nächste Opfer rutschte im Blut seines Vorgängers aus. Es wurde auf die Knie gezwungen. Gehilfen in Lederschürzen fingen seinen Kopf am Rande des Schafotts auf.
    Einer folgte auf den anderen. Blut überschwemmte das Schafott, tropfte hinab auf die Pflastersteine und floss als Rinnsal zum Wachtturm, wo die anderen sangen, während ihre Kameraden starben – keine düsteren katholischen Litaneien, sondern die leidenschaftlichen Psalmen der Protestanten. Doch als der Berg der Köpfe anwuchs und der Blut- und Kotgestankimmer durchdringender wurde, wurde der Gesang leiser, bis dann in der Abenddämmerung die letzten der zweiundfünfzig aufs Schafott gezerrt wurden.
    Ich sah nicht weg. Ich schloss nicht die Augen. Obwohl mir das Herz bebte und bittere Galle aus dem tiefsten Innern aufstieg, zwang ich mich, Zeuge der blutrünstigen Tollheit der Guises zu sein. In jenen Abendstunden, als der Kardinal allmählich grün um die Nase wurde und die Edelleute nach und nach davonwankten, während le Balafré unerschütterlich blieb und die Hinrichtungen mit militärischer Präzision dirigierte, reifte mein Entschluss zu absoluter Gewissheit.
    Ich würde die Guises vernichten. Ich würde nicht ruhen, bis ich Frankreich von dieser Bedrohung befreit hatte.
    Mein Sohn stöhnte auf, als der letzte Gefangene von dem erschöpften Henker in Stücke gehauen wurde. Ich spürte seine eisigen Finger, die nach den meinen griffen, und hörte ihn wispern: »Möge Gott ihnen vergeben.«
    Ich wusste, dass er die Guises meinte; aber was Gott ihnen vielleicht vergab, würde ich niemals verzeihen.
    Und die Hugenotten erst recht nicht.

20
    Fackeln erleuchteten die Nacht und ermunterten neugierige

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