Die Flotte von Charis - 4
Ihr Chisholm habt so effizient regieren können, obwohl Euer Adel sich offensichtlich noch sehr gut an Königin Ysbell erinnerte. Darum wart Ihr in der Lage hierherzukommen und meinen Heiratsantrag anzunehmen, ohne dass hinter euch in ganz Chisholm eine Rebellion ausbrach. Euer Volk versteht das ebenso gut wie das meine, und das ist der wahre Grund dafür, dass wir letztendlich gewinnen werden, Sharleyan.«
»Ich glaube, Ihr habt recht«, sagte sie ihm und streichelte ihm vorsichtig zum ersten Mal über die Wange. Sacht lagen ihre Fingerspitzen auf seinem Wangenknochen und strichen zart bis zu seinem markanten Kinn. Dabei blickte sie Cayleb tief in die Augen.
»Ich glaube, Ihr habt recht«, wiederholte sie, »und das alleine schon würde diese Eheschließung für mich zu genau der richtigen Entscheidung machen. Es ist bedeutungslos, was ich fühle, oder was ich wünsche. Von Bedeutung ist meine Verantwortung für Chisholm, und zu dieser Verantwortung gehört, mein Volk vom Joch der ›Vierer-Gruppe‹ zu befreien.«
»Und das ist das Einzige, was hier von Bedeutung ist?«, fragte Cayleb leise.
»Oh nein«, widersprach sie. »Nicht das Einzige.«
Mehrere endlose Sekunden lang verlor er sich fast in ihren Augen, und dann lächelte er langsam.
»Ich muss zugeben, ich hatte gehofft, dass Ihr das sagen würdet«, murmelte er.
»Ist das nicht genau der Ort, an dem in all den kitschigen Romanzen der Held die keusche Maid leidenschaftlich küsst und sie auf seinen starken Armen in sein Gemach trägt?«, fragte sie ihn, und auch ihre Lippen umspielte jetzt ein Lächeln.
»Ich sehe schon, als wir noch jünger waren, haben wir beide unsere Zeit mit den gleichen albernen Freizeitvergnügungen vergeudet«, stellte er fest. »Glücklicherweise bin ich mir sicher, dass wir beide mittlerweile reifer und weiser geworden sind und ein besseres Urteilsvermögen und einen größeren Sinn für die Realität haben als damals.«
»Ach, das glaube ich wohl auch«, sagte sie und lachte leise.
»Das habe ich mir gedacht«, versicherte er ihr, und dann berührten ihre Lippen einander zum ersten Mal.
.XII.
Ein Ballsaal, Königlicher Palast, Tellesberg, Königreich Charis
Ehdwyrd Howsmyn und Ahlvyno Pawalsyn standen neben der großen Schüssel mit dem Punsch und betrachteten die bunt gekleidete Menschenmenge.
Die beiden Männer waren schon seit langer Zeit befreundet, und zu ihren bevorzugten Freizeitvergnügen auf offiziellen Bällen und Feierlichkeiten gehörte es, die Besucher genau im Auge zu behalten und zu beobachten, wer vornehmerweise etwas später als die anderen Besucher eintraf und wer nicht. Howsmyns Reichtum und Pawalsyns Titel als Baron Ironhill − und seine Position als Intendant der Zivilliste − stellten fast sicher, dass man sie zu jeder nur erdenklichen Gesellschaft einlud. Sonderlich genießen konnten beide derartige Veranstaltungen nicht, vor allem nicht Howsmyn, doch keiner von beiden war töricht genug zu glauben, sie könnten derartige gesellschaftliche Verpflichtungen einfach vermeiden. Daher neigten sie dazu, sich bei solchen Anlässen recht bald in eine ruhigere Ecke zurückzuziehen, gelegentlich in Gesellschaft einiger ihrer engeren Freunde, und das Gepränge und die Zurschaustellung der Gäste zu beobachten − der Reichen, der Mächtigen und − vor allem − der Törichten.
»Na, das nenne ich mal ein Abendkleid«, murmelte Howsmyn und deutete mit dem Kinn unauffällig auf eine Matrone mittleren Alters, die gerade majestätisch in den Ballsaal gerauscht kam, ein halbes Dutzend Töchter in heiratsfähigem Alter in ihrem Gefolge. Das Kleid, das sie trug, musste kostspielig genug sein, um eine fünfköpfige Familie ein halbes Jahr ernähren zu können. Damit war es natürlich ein unverkennbares Zeichen ihres Wohlstands; bedauerlicherweise war es zugleich auch ein unverkennbares Zeichen ihres Stils − oder eben dessen Fehlens.
»Nun ja«, merkte Ironhill gelassen an, »es mag zwar in den Augen schmerzen, aber zumindest muss Rhaiyan ihr dafür eine ganze Menge Geld abgenommen haben. Und …« Er grinste. »Als Steuereintreiber der Krone bin ich hocherfreut, dass seine Geschäfte so prächtig laufen!«
»Du solltest mich bei derartigen Gesellschaftsereignissen nicht immer wieder daran erinnern, dass du ja zum Feind gehörst«, gab Howsmyn zurück.
»Was denn, ich?«, spielte Ironhill die Unschuld in Person.
»Es sei denn natürlich, irgendjemand anderes hätte diese neuen Lagerhaussteuern festgelegt.
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