Die Flotte von Charis - 4
Ideale, nicht nur an Pragmatismus und Zweckdienlichkeit, und er hat den völlig gedankenlosen, unbesiegbar optimistischen Enthusiasmus dieser unendlich törichten Helden aus irgendwelchen romantischen Balladen. Wie in Gottes Namen konnte er überhaupt als Prinz eines Königreiches aufwachsen, ohne die Wahrheit zu erkennen?
Natürlich war das alles reiner Wahnsinn. In den dunkleren Momenten der Nacht, wenn die Zweifel Sharleyan plagten, wurde ihr das stets mit schmerzhafter Gewissheit bewusst. Trotz des derzeitigen Vorteils, den Charis als Seemacht innehatte, war dieses Königreich einfach zu klein, selbst noch mit der Unterstützung durch Chisholm, um sich auf unbestimmte Zeit der gewaltigen Macht entgegenzustellen, die sich im Namen der Kirche auf sie stürzen würde. In jenen düsteren Nachtstunden war Sharleyan das alles furchtbar klar und deutlich erschienen − und völlig unausweichlich.
Doch jetzt dachte sie nicht mehr so. Sie schüttelte den Kopf und war selbst erstaunt, welch einfache Erkenntnis sie hier gerade durchströmte. Bevor sie in Charis eintraf, war die Vorstellung, Charis − und damit auch Chisholm − könnten diesen Konflikt überstehen, lediglich aus ihren bewussten Gedanken heraus geboren, in einer Art Triumph des logischen, analytischen Denkens über die Beharrlichkeit des sogenannten ›gesunden Menschenverstandes‹ Und − auch das gestand sich Sharleyan nun ein − auch aus der Verzweiflung heraus. Es war etwas, das sie zu glauben sich gezwungen hatte, um noch auf das Überleben ihres eigenen Reiches hoffen zu können, angesichts der offensichtlichen Bereitschaft der Kirche, jedes Reich zu zerstören, in dem sie Ungehorsam der ›Vierer-Gruppe‹ gegenüber auch nur argwöhnten.
Das hatte sich nun geändert. Es hatte sich geändert, als Sharleyan bewusst geworden war, dass Cayleb persönlich − trotz seines jugendlichen Alters − im wahren Leben eine sogar noch beeindruckendere Persönlichkeit war als in all den Gerüchten, die über ihn existierten. Sein beinahe jungenhafter Enthusiasmus hatte etwas unglaublich Ansteckendes, doch hinter diesem Enthusiasmus sah Sharleyan auch den unerbittlichen Krieger, der den vernichtendsten Sieg bei einer Seeschlacht in der Geschichte von ganz Safehold errungen hatte. Jenen Krieger, der bereit war, den Kampf so lange fortzuführen, wie es eben notwendig war, und so viele weitere Siege zu erringen, wie es sein Ziel erforderte, weil er tatsächlich glaubte, Männer und Frauen sollten mehr sein als nur die gehorsamen Sklaven und Sklavinnen korrupter, verderbter Männer, die von sich behaupteten, mit der Autorität Gottes Selbst zu sprechen.
Und vielleicht sogar noch beeindruckender war die Tatsache, dass das ganze Volk seines Königreiches diesen Glauben mit ihrem Regenten teilte. Sie glaubten an ihn. Sie waren bereit, so weit zu gehen, wie er sie eben führte, sich jedem Gegner entgegenzustellen − selbst Mutter Kirche selbst −, solange er nur an ihrer Seite war. Sie waren nicht bereit, ihm zu folgen, sie waren bereit, mit ihm Seite an Seite zu kämpfen.
Und voller Erstaunen begriff Sharleyan, dass es ihr genauso erging, dass sie genau das Gleiche wollte. Sie wollte jeglichem Sturm trotzen, so schlimm er auch werden mochte, weil es das Richtige war. Weil er und sein Vater, Erzbischof Maikel, der Adel und das Parlament von Charis beschlossen hatten, genau das liege in ihrer Verantwortung. Weil sie recht hatten, als sie diese Entscheidung trafen … und weil sie, Sharleyan, selbst das Richtige tun wollte, einfach weil es richtig war.
Und dass er nicht nur süß ist, sondern einer der attraktivsten Männer, denen du jemals begegnet bist, hat natürlich damit überhaupt nichts zu tun, was, Sharleyan?, murmelte eine leicht gehässige Stimme in ihrem Hinterkopf.
Natürlich nicht, herrschte sie innerlich diese vermaledeite Stimme an. Und selbst wenn, dann ist jetzt wohl kaum der richtige Augenblick, darüber nachzudenken, du blödes Huhn! Verschwinde endlich! Obwohl … ich muss schon zugeben, schaden tut es zumindest nicht.
»Können wir das wirklich schaffen, Cayleb?«, fragte sie ihn leise und wandte sich wieder zu ihm um. »Nicht nur ›wir‹, nicht nur Ihr und ich − Cayleb und Sharleyan. Das alles. Nach dem, was uns Madame Dynnys heute Abend berichtet hat, mit all dem Reichtum und der Kampfstärke der ›Vierer-Gruppe‹ − können wir das wirklich schaffen?«
»Ja«, erwiderte er schlicht.
»Ihr lasst das so leicht wirken.« Ihre Stimme
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