Die Flotte von Charis - 4
angesichts des Tonfalls des Seijin, doch sonderlich überrascht wirkte er nicht, wie Merlin bemerkte. »Aber aus irgendeinem Grund vermute ich, dass Ihr Euch das bereits gedacht habt«, setzte er dann hinzu.
»Sagen wir, ich rechne nicht damit, um diese Zeit aus dem Bett geholt zu werden, wenn es nicht wirklich wichtig ist. Und in diesen Tagen kann ich mir nur wenige Dinge vorstellen, die tatsächlich ›wichtig‹ und ›gut‹ gleichermaßen wären.«
»Bedauerlicherweise«, pflichtete Merlin ihm bei. Dann holte er tief Luft. »Ich habe gerade Owls Daten von den SNARCs abgerufen«, sprach er dann weiter, und kurz ging ihm durch den Kopf, welche Erleichterung es doch war, sich nicht mehr in weitschweifigen Umschreibungen ergehen zu müssen, wenn er Cayleb etwas Derartiges zu berichten hatte. Der jugendliche König von Charis mühte sich immer noch nach Kräften, all das zu verstehen, was diese hoch entwickelte Technologie wirklich bedeutete, doch er hatte seine geistige Flexibilität schon weidlich unter Beweis gestellt, und das, was er bislang schon verstanden hatte, brachte ihn nur dazu, noch mehr begreifen zu wollen. Das war das Gute daran; das Schlechte war, dass selbst mit Owls tatkräftiger Mithilfe, die Geschehnisse auf Safehold zu überwachen, sich auf dieser Welt einfach zu viele Dinge gleichzeitig ereigneten, als dass ein einzelnes Wesen − selbst ein PICA − sie alle hätte im Auge behalten können. Und da nun Ereignisse lawinenartig zu weiteren Ereignissen führten, wurden es natürlich immer mehr. Dass Merlin immer noch nicht wusste, worum es sich bei diesen bislang unidentifizierten Energiequellen unterhalb des Tempels handelte, und dass er aus genau diesem Grund auch nicht wagte, SNARCs in die Gemächer der Mitglieder der ›Vierer-Gruppe‹ einzuschleusen, machte es nicht gerade besser. Es war Merlin zu verdanken, dass Caylebs Nachrichtendienst immer noch ungleich besser war als der eines jeden anderen Reiches auf dieser Welt, doch auch sie waren nicht perfekt, und zu viele Dinge bemerkte Merlin erst zu spät. Oder sie entgehen mir sogar gänzlich, dachte er voller Zorn auf sich selbst, auch wenn er genau wusste, dass dieser Zorn schlichtweg unvernünftig war. Doch immer wieder sah er vor seinem künstlichen geistigen Auge das Blutvergießen und die lodernden Schiffe.
Zu viele Dinge wie diese hier, beispielsweise.
»Es gibt mehrere Dinge, die Ihr erfahren müsst«, sprach er dann weiter, »aber am wichtigsten sind die Entwicklungen in Siddarmark und Delferahk.«
»›Siddarmark und Delferahk‹?«, wiederholte Cayleb und schnaubte dann fast belustigt, als Merlin nickte. »Die beiden sind doch wohl ein bisschen zu weit weg, um sich gegen uns zusammenzurotten, oder nicht?«
»Ja und nein, bedauerlicherweise«, sagte Merlin grimmig. »Und es war auch nicht ihre Idee. Wisst Ihr …«
September, im Jahr Gottes 892
.I.
Königlicher Palast, Tellesberg, Königreich Charis
Sonderbar, dachte Graf Pine Hollow, als er erneut in den Thronsaal des Palastes von Tellesberg geleitet wurde. Er hatte es nicht für möglich gehalten, noch nervöser sein zu können, als das anlässlich seines ersten Besuches hier der Fall gewesen war.
Bedauerlicherweise habe ich mich da getäuscht.
Er folgte den beiden Gardisten − der eine trug die schwarzgoldene Uniform von Charis, der andere das Silberblau von Charis − über den polierten Steinfußboden und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich hoch oben an der Decke lautlos Ventilatoren drehten. Der Saal sah eigentlich noch ziemlich genau so aus, wie er ihn schon kannte … abgesehen davon, dass das Podest am andere Ende etwas größer war − und dort nicht mehr nur ein Thron stand.
Kein Wunder, dass er über seine Antwort ›weidlich nachdenken‹ wollte. Trotz der Anspannung, unter der er stand, fiel es Pine Hollow schwer, nicht zu lächeln, als er die attraktive junge Frau sah, die in dem Thron zu Caylebs Rechten saß. Ich kann kaum glauben, dass die beiden es tatsächlich geschafft haben, diese ganze Eheschließung vorzubereiten, ohne dass irgendjemand in Emerald davon auch nur das Geringste mitbekommen hat! Nahrmahn hatte die ganze Zeit recht, was Sharleyan betrifft. Und auch noch mit etwas anderem … Cayleb alleine ist schon gefährlich genug; die beiden gemeinsam werden Hektor in Krakenfutter verwandeln − und wenn das passiert, säße ich lieber mit den beiden zusammen im Boot, als gemeinsam mit Hektor im Wasser zu schwimmen.
Graf Gray Harbor stand
Weitere Kostenlose Bücher