Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
würden bahnen müssen. Doch daran hatten sie sich bereits gewöhnt, und es schien ganz so, als würde es, je weiter sie gen Osten vordrangen, nicht besser werden.
Marie setzte sich in ihrem Lager aus stinkenden Schaffellen und mottenzerfressenen Wolldecken auf und rieb sich die Augen. Ulrich neben ihr schlummerte noch tief und fest, seine Züge waren entspannt. Und das, obgleich er nun die bittere Wahrheit über die Frau kannte, der er so blind gefolgt war. Rasend hätte er sein dürfen, nachdem sie ihm ungeniert erzählt hatte, wie vielen Männern sie in ihrem Leben schon gegen Geld oder andere Gefälligkeiten zu Diensten gewesen war, empört hätte er sein müssen, als sie ihm von den Diebstählen und anderen Spitzbübereien berichtete, mit denen sie sich über Wasser gehalten hatte, entsetzt hätte er auch sein dürfen, als sie ihm schließlich in allen Einzelheiten den entsetzlichen Mordversuch an ihrem Ziehvater gebeichtet und dann unmittelbar darauf die Absicht ausgesprochen hatte, diesen Versuch in naher Zukunft zu vollenden. Doch Ulrich war nicht rasend, empört und entsetzt gewesen. Nein, er war still geblieben, schweigsam zunächst, und dann hatte er ganz ruhig zu Marie gesagt, dass er ihr beistehen werde. Ja, er war ein außergewöhnlicher Mensch, dieser sture Bauer, außergewöhnlich gut, auf seine Art außergewöhnlich weise und der beste Freund, den Marie sich vorstellen konnte. Doch Ulrich war nun einmal nicht bloß ihr Freund, nein, er war ihr Gemahl.
Marie schluckte den Frosch, der sich die Nacht über in ihrem Hals eingenistet hatte, herunter und blickte sich dann um. Alle schliefen sie noch, lagen eingewickelt in ihren Decken und schnarchten.
Auch er. Da drüben unter der Birke.
Als Marie spürte, dass ihr Herz plötzlich schneller zu schlagen begann, wandte sie sich ab und wollte soeben nachschauen, ob ihre durchnässte Kleidung endlich getrocknet war, als sie das Stöhnen erneut vernahm.
Jetzt erinnerte sie sich, dass sie davon erwacht war.
Es war ein kläglicher, dumpfer Laut.
Nicht etwa ein lustvolles Geräusch, als welches sie es zunächst in ihren schönen, aber wenig sittsamen Traum eingeflochten hatte.
Von wem kam dieses Stöhnen?
Sie stand auf und ging um das erloschene Feuer herum. Vor einem der bis über den Kopf eingehüllten Schlafenden blieb sie stehen und hockte sich nieder.
Er wälzte sich hin und her und gab dabei tatsächlich einen fiebrig klingenden, jammernden Ton von sich. Als Marie die Decke ein wenig zurückschlug, erkannte sie, dass es sich um Otto handelte. Er zitterte am ganzen Leibe und glühte gleichzeitig vor Fieber. Der arme Kerl musste sich am gestrigen Tage bei ihrer Durchquerung der kühlen Saale eine schreckliche Erkältung zugezogen haben. Wach war er nicht, vielmehr in einen Dämmerzustand versunken, und als Marie seine neue, aus dem Rattenfell gefertigte Mütze nach oben schob, um ihm die Stirn zu fühlen, da musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sein Körper bereits die höchstmöglich zu ertragende Hitze erreicht hatte. Dennoch bibberte und schlotterte er weiter, ein Zeichen dafür, dass das Fieber weiter ansteigen und den Buben somit gewiss töten würde.
Marie lief rasch zu Majas Lager und weckte die alte, heilkundige Frau, dann suchte sie einige schmutzige Lumpen zusammen und eilte zum Fluss, wo sie diese ins kalte Wasser tauchte: Wadenwickel war das Einzige, was ihr im Moment einfiel. Sie würden dem Jungen zumindest ein wenig von der lebensgefährlichen Hitze nehmen.
Als Marie zu Otto zurückkam, war Maja bereits bei ihm. Sie hatte ihm die Fellmütze abgenommen und ihn auch einer seiner Decken entledigt. Gerade war sie damit beschäftigt, dem Buben das Hemd aufzubinden, um ihn mit einer durchaus angenehm duftenden Thymian-Paste einzureiben. Otto ließ dies alles über sich ergehen, er lächelte sogar ein wenig dabei und erweckte den Anschein, nicht mehr Herr seiner Sinne zu sein. Auch einige der anderen waren nun erwacht und betrachteten die Szene mit Sorge. In diesem Zustand würde Otto am heutigen Tage keine drei Schritte laufen können.
» Wir werden hier weiter lagern müssen « , sagte Johann, der sich zunächst vergewissert hatte, dass Adelheid, die noch selig schlummerte, keine Anzeichen einer bösen Erkältung zeigte. Auch alle Übrigen schienen das Bad am gestrigen Tage gut überstanden zu haben, selbst Marie, die sogar bis über den Scheitel hineingetaucht war.
» Nanu « , murmelte Maja plötzlich, während sie den
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