Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Weihrauchs, und auch die Anwesenheit dieses so ruhigen und gütigen Geistlichen ließ Marie ein wenig ruhiger werden. Sie atmete auf.
» Er stirbt « , antwortete diese bloß.
» Ja, er stirbt. Und so, wie es aussieht, hat Gott ihn bereits in diesem Moment zu sich genommen « , meinte der Pfarrer ruhig, während er sich neben Fips hockte. Bevor er zu beten begann, sagte er mit trauriger Miene an Marie gewandt: » Nicht weit von hier, in einer alten Templerkapelle, lebt ein Einsiedler. Er ist Heilkundiger des zerschlagenen Ordens gewesen. Ein weiser, aber ausgestoßener Mensch. Vor einigen Wochen ist er wie wirr durch alle Dörfer gezogen und hat berichtet, er habe Kunde aus Frankreich, dass eine Pest ganz Europa heimzusuchen begonnen habe. Wir haben ihn nicht ernst genommen. «
Sprachs und widmete sich wieder dem soeben Verstorbenen.
Während der Geistliche so besonnen und still dasaß, schwirrte es in Maries Kopf wie in einem Bienenstock.
Was hatte dieser seelenruhige Mensch da gerade alles gesagt?
Vitus Fips war tot?
Tatsächlich? Endlich? Wahrhaftig?
Und dann diese Templerkapelle.
Es gab sie wirklich? War Konrad dort?
War es das, was Maja Crispin erzählt hatte?
Und die Pest?
Sie war also tatsächlich unterwegs. Würden sie nun alle dieses schrecklichen Todes sterben?
Marie wusste nicht mehr, woran sie zuerst denken sollte. Aber unbedingt wollte sie sich vergewissern, dass ihr Peiniger wirklich gestorben war. Sie versuchte an dem Pfarrer vorbei einen Blick auf den schlaffen Körper von Vitus Fips zu werfen, konnte aber nicht mehr als eine seiner Hände erkennen. Schlaff war diese nicht, vielmehr ragte sie steif und verformt wie eine Klaue reglos in die Höhe. Marie wurde schlecht.
» Lebt wohl « , stieß sie nur hervor und beeilte sich dann, den Raum zu verlassen. Es gelang ihr gerade noch, an die frische Luft zu kommen, bevor sie sich mehrmals auf dem Kirchhof übergab, wo Johann bereits damit beschäftigt war, ein einziges, riesengroßes Loch zu graben.
XXIX
D ie Kunde von der großen Pest ist bereits zu mir vorgedrungen, Deutschordensbruder Crispin. Nach der Zerschlagung unseres Ordens ist diese Kommende an die Kreuzbrüder der Johanniter übergeben worden. Sie haben keinen ständigen Sitz hier bezogen und somit das von uns Templern geerbte Gut zum Lehen an hiesige Adelige geringer Herkunft weitergegeben, aber dennoch kommen sie hin und wieder zur Visitation vorbei und sprechen auch mit mir, dem Geächteten. Sie waren es, die mir von dem Pestzug in Frankreich erzählten, der nun sogar das päpstliche Avignon heimsucht. Papst Clemens verbarrikadiert sich dort, in seinem Palast zwischen zwei reinigenden Feuern sitzend, während das Volk auf den Straßen ohne letzten Segen der Kirche stirbt. «
Der Einsiedler Arnaud war ein beeindruckender alter Mann. Crispin wusste schon seit vielen Jahren von seiner Existenz, hatte ihm, da er selbst ein glühender Verehrer des zerschlagenen Templerordens war, immer einmal einen Besuch abstatten wollen. Aber er war nie dazu gekommen. Er hatte Konrad auf ihrer gemeinsamen Reise jedoch manches Mal von dem Templer-Eremiten an der Saale erzählt, und als die alte Frau Maja gesagt hatte, sie habe Konrad im Traum davon sprechen hören, dass er vorhabe, sich bei den Templern zu verbergen, war es Crispin wie Schuppen von den Augen gefallen.
Konrad war zu dem Templer-Eremiten gegangen.
Und Crispin hatte den Freund nun tatsächlich hier gefunden. Ihn und auch den Einsiedler Arnaud, den er jetzt endlich kennenlernen durfte.
Es war selten, aber nicht außergewöhnlich, dass die Templer auch in diesem Teil Europas einige kleine Dependancen besessen hatten. So diese ehemalige Kommende an der Saale, welche jedoch mit der Zerschlagung des Ordens durch Philipp den Schönen und Papst Clemens V. ebenfalls aufgelöst worden war. Da man sich hier nicht im Machtbereich des Königs von Frankreich, sondern in dem des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches befand, war mit den hiesigen Mitgliedern des Kreuzritterordens nicht ganz so streng verfahren worden. Ja, es war zu Verhaftungen gekommen, es hatte auch Todesurteile gegeben, aber andererseits war den überlebenden Templern mitunter erlaubt worden zu bleiben, wenn sie ihr weißes Habit mit dem roten Kreuz ablegten und stattdessen das Leben eines grauen Mönches führten– oder ebendas eines Einsiedlers. Arnaud und zwei seiner Brüder hatten sich für Letzteres entschieden. Zu den neuen Herren ihrer Kommende wurden durch eine
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