Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Darauf saßen zwei Mönche. Die ersten Menschen, denen sie seit nunmehr drei Tagen begegneten. Neugierig blickte Marie den offenbar gut gelaunten Geistlichen entgegen, die ohne Frage ein schönes Lied in einem wohleingeübten Kanon zum Besten gaben, während sie ihre beiden Maultiere geschickt über den unebenen Pfad lenkten.
Zisterzienserbrüder waren es, die sich da auf dem Weg von der fernen Abbaye de Silvacane in der Provence ins polnische Grünberg befanden. Sie hatten Reben geladen– prächtige, knorrige Gewächse mit sorgsam ausgegrabenen Wurzeln, die auf osteuropäischen Boden verpflanzt werden sollten, um den ursprünglich französischen Mönchen in ihren im Slawenland gelegenen neuen Klöstern ein wenig Heimatgefühl zu spenden. Und wer konnte es schon wissen? Vielleicht gedieh der Wein in diesen östlichen Landen ja sogar so erfolgreich, dass er nicht bloß für den eigenen, klösterlichen Verbrauch gut war, sondern auch zum Handel taugte.
Die Brüder waren in recht angenehmer Stimmung. Sie freuten sich, aus dem düsteren Frankreich ins sehr viel heiterere Polen zu ziehen, denn Heimweh nach den Hügeln der Provence verspürten sie keines mehr– nicht, nachdem sie über Monate hinweg Zeugen des irrsinnigen Sterbens gewesen waren, welches, je weiter man nun gen Osten fuhr, Gott sei es gedankt, nachließ.
Konrad blickte dem vollbeladenen Wagen zwiespältig entgegen, der jetzt rumpelnd und eiernd den Weg hinunter zu der Ebene rollte, auf der er mit Regino und Johann auf Marie wartete. Einerseits freute er sich, nach langer Zeit endlich einmal wieder auf Reisende zu treffen, die offenbar weit herumgekommen waren und gewiss viel zu erzählen hatten, andererseits fürchtete er, erkannt zu werden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass unweit des Ordenslandes angesiedelte Zisterzienser darüber Bescheid wussten, dass eine einflussreiche Adelsfamilie auf der Suche nach einem ganz bestimmten Deutschordensritter namens Konrad von Tiefenbrunn war, diese Wahrscheinlichkeit war gar nicht gering.
Dennoch ging Konrad dem Wagen entgegen und griff an die Zügel der Maultiere, als diese schließlich die Ebene erreichten. Er verneigte sich leicht vor den beiden Geistlichen und begrüßte sie angemessen, so angemessen, dass ihnen sofort auffiel, dass es sich bei diesem etwas verwahrlosten Wanderer nicht um einen solch schlichten Menschen handelte, wie es sein Erscheinungsbild vermuten ließ. Konrad ging um den Wagen herum und half Marie von der Ladefläche herunter. Sie war von den beiden Mönchen an ihrem Rastplatz aufgelesen und ein Stück des Weges mitgenommen worden. Zwischen gewundenen, sorgsam verpackten Weinstöcken hatte sie einen kleinen Platz gefunden und ließ sich nun in die Arme Konrads gleiten, der sie nur für einen kurzen Moment leicht an sich drückte, um sie dann sofort wieder loszulassen. Er sprach kein Wort mit ihr, sondern fragte die Mönche in französischer Sprache, von wo sie aufgebrochen seien.
» Wir kommen von der Abbaye de Silvacane. Eine weite Reise haben wir hinter uns… « , antwortete der jüngere der beiden. Ein ordentlich feister, gänzlich kahler Mensch mit wachen Augen.
» …mit offenbar kostbarer Fracht « , führte Konrad den Satz zu Ende und begutachtete die Weinstöcke.
» Silvaner? « , fragte er dann, während er gegen einen knorrigen Ast klopfte.
Die Mönche beäugten ihn beide kritisch. Trotz ihrer blendenden Laune und der Unbedarftheit, mit der sie die fremde, am Wege sitzende Frau auf ihren Wagen eingeladen hatten, waren sie dennoch auf der Hut, mussten es sein, denn immerhin reisten sie bloß zu zweit, und Strauchdiebe– das wussten sie– erschienen durchaus in unterschiedlichster Gestalt. Dieser hier gab sich wie ein Edelmann, sprach Französisch, hatte Ahnung von Wein, trug aber nur Lumpen am Leibe und war in Begleitung von zwei weiteren Männern, von denen zumindest einer einen durchaus verschlagenen Eindruck machte.
» Burgunder « , antwortete der kleinere, ältere, ein wenig verhutzelte Bruder. » Uralte Reben. Der Stock hier vorn zählt fast zweihundert Jahre. Dennoch sind diese Hölzer nur von Wert für denjenigen, der es versteht, mit ihnen umzugehen. «
Konrad lächelte. Er verstand. Die Mönche fürchteten, es mit Wegelagerern zu tun zu haben, die ihnen ihre Fracht stehlen wollten.
» Was gibt es aus Frankreich zu berichten? Wir hörten von der Pest in Avignon « , sagte er nun und ließ von der Ladung ab, damit sich die beiden Gottesmänner wieder beruhigen
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