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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Blitze am Himmel. Nein, es war die Pest, von welcher der Geißlerzug kündete.
    Fasziniert beobachtete Maja die Schar, welche man ohne Weiteres in die Stadt ließ, während es sie und Ulrich sehr viel mehr Überredungskunst gekostet hatte, von den Wachleuten der Landwehr die Erlaubnis für einen kurzen Aufenthalt hinter dem schützenden Palisadenzaun zu erhalten. Sie benötigten dringend eine Rast und eine Aufbesserung ihrer schmalen Proviantbeutel. Seit Wochen streiften sie nun schon umher, verwirrt, mitunter verzweifelt und auch verängstigt, aber immer mit dem Ziel vor Augen, den Ort zu erreichen, an dem sie hofften, die verlorenen Überlebenden ihrer Reisegemeinschaft wiederzufinden. Die beiden wollten ins Altvatergebirge, und diese kleine Stadt an der Neiße stellte nun die letzte Station vor dem Übergang ins Königreich Böhmen dar: Bald hätten sie es geschafft.
    Dabei hatte es noch bis vor einigen Wochen sehr düster ausgesehen. Nach ihrem Auszug aus dem Kloster bei Grimma an der Mulde waren sie von einer aufgebrachten Meute in den Wald geführt worden. Meucheln hatte man sie wollen. Maja als vermeintliche Zauberin und den armen Ulrich als Hexenmeister. Die Stricke waren bereits gebunden, ein geeigneter Baum ausgesucht. Doch dann war ein Wunder geschehen. Maja selbst, obgleich an Mirakel gewöhnt und der festen Überzeugung, solche nicht nur deuten und vorhersehen, sondern auch herbeirufen zu können, Maja selbst war überrascht gewesen: Nicht nur einer, nein gleich drei Bienenschwärme waren mit einem entsetzlich lauten Brummen mitten durch den Wald geflogen und hatten sich in drei großen, vibrierenden, donnernden Klumpen an ebendem Baum niedergelassen, an welchem schon die Stricke baumelten. Niemand hatte damals ein Wort herausbringen können, alle hatten sie nur mit offenen Mäulern gestarrt. Die Wut der Bauern war aus ihren Gesichtern gewichen, ihr gewaltsamer Tatendrang mit einem Male verraucht. Wie angewurzelt standen sie da, eine halbe Stunde, eine Stunde, vielleicht auch zwei. Die Nacht brach bereits an, und sie allesamt waren eingelullt von dem monotonen Dröhnen der Schwärme. Es waren Momente, so tief und andächtig, wie man sie nicht einmal in der Kirche erleben konnte. Unbeschreiblich, unerklärlich war dieser Abend gewesen. Bedrohlich, Unheil verkündend und dennoch beruhigend zugleich. So beruhigend, dass Maja beinahe vergessen hätte, die Gunst der Stunde zu nutzen, um zu fliehen. Erst der erdverbundene Ulrich hatte sie mit einem Zupfen an ihrem langen Rock daran erinnern müssen, dass sie nun ebenfalls ihre nur lose angebrachten Fesseln abstreifen und sich mit ihm in den noch immer dunklen Wald davonstehlen sollte. Und das hatten sie dann auch getan– die von der Symbolkraft der Bienenschwärme beeindruckten Leute zurücklassend. Erst am darauffolgenden Abend waren die beiden Flüchtlinge mutig genug gewesen, in die Scheune zurückzukehren, wo sie jedoch die dort zurückgebliebenen Mädchen Adelheid und Anna nicht mehr auffanden. Und auch die folgende Suche bis hierher in dieses Neißestädtchen war erfolglos geblieben. Kein Lebenszeichen von Adelheid und Anna, und auch keine Spur von Marie, Regino und Johann. Sie alle waren verschollen. Was blieb, war die Hoffnung, sie, oder wenigstens einige von ihnen, am Ziel ihrer Reise wiederzufinden.
    Die Geißler hatten sich mittlerweile auf dem kleinen, mit schmutzigem Stroh und Unrat bedeckten Kirchplatz des Örtchens aufgebaut. Sie boten einen erbärmlichen Anblick, zerzaust, zerlumpt, aus mehreren selbst zugefügten Wunden blutend. Auch ihre Vorführung wirkte willkürlich und brutal, zog aber dennoch die Menschen in einen ähnlichen Bann, wie es der Bienenschwarm im Wald vermocht hatte. Man konnte die Augen nicht von ihnen lassen, und es war nicht bloß die Schaulust oder die Gier nach Blut, welche die Leute gaffen ließ, es war tatsächlich eine tiefe Ehrfurcht und auch Angst, die aus den Gesichtern der Stadtbewohner sprach.
    Eine Orgie stummer Gewalt spielte sich da vor aller Augen ab. Man peinigte sich gegenseitig, kasteite einander mit dornengespickten Peitschen und murmelte dabei ununterbrochen fromme, aber auch flehentliche, an Gott gerichtete Worte. Für die Zuschauer waren diese freiwillig Leidenden nicht nur Objekte ihres tief empfundenen Mitgefühls. Nein, man spürte ihnen gegenüber auch Verehrung und hatte zugleich ein schlechtes Gewissen, denn diese Menschen litten– ganz wie Jesus es getan hatte– für die Sünden anderer. Und

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