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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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geheimnisvoll erschienen ihr vor allem die teils sanften, teils schroffen Rundungen des Riesengebirges, an dessen südlichem, nahezu unbesiedeltem Rand sie sich fortbewegten.
    Ja, der Tod hatte sie offenbar vergessen. Er war ihnen nicht mehr auf den Fersen. Doch besonders tröstlich war dieser Gedanke nicht, hatte das Sterben doch schrecklich in ihren Reihen gewütet und schlussendlich nur diesen kläglichen Rest von vieren übrig gelassen. Zwar waren vor allem Marie und Johann von der Hoffnung getragen, dass Maja, Ulrich, Adelheid und Anna die Zornesattacke der Bauern überlebt hatten, doch in schwachen Momenten mussten auch sie sich eingestehen, dass dies nicht sehr wahrscheinlich war. Zu wütend, zu verzweifelt und zu sehr von der Schuld der Fremden überzeugt waren diese Menschen gewesen– und bei dem, was sie so plötzlich hatten erleiden müssen, konnte man ihren Zorn sogar verstehen.
    Marie stapfte tapfer über Geröllpfade und Wurzeln durch diese nur vom Rauschen des Windes und dem Rascheln der absterbenden Blätter erfüllten Natur. Ihre Beine hatten sich in den letzten Monaten an Tagesmärsche von bis zu sechs Meilen gewöhnt, sie schmerzten des Abends nicht mehr, das Fleisch an ihren Oberschenkeln war hart wie Stein geworden, und an ihren Füßen hatte sich eine solch grobe Schicht von Hornhaut gebildet, dass sie im Grunde auf ihr ohnehin durchgelaufenes Schuhwerk hätte verzichten können. Manchmal, wenn sie so ging, kam es vor, als ob sie sich vollkommen verlor, ihre Umwelt gar nicht mehr wahrnahm und nur noch den Weg vor Augen hatte, dem sie wie in einem Traumzustand stundenlang folgte, ohne zu rasten. Oft mussten die drei Männer dann nach ihr rufen, da sie es kaum schafften, ihr auf den Fersen zu bleiben.
    So war es auch gewesen, als die drei am Fuße eines enormen, kahlen Berges, dem höchsten in dieser Gebirgswelt, einem wunderlichen Mann begegneten, mit dem sie sich unterhielten, während Marie unverwandt weiter- und weitergestapft war. Regino war begeistert von der Geschichte, vielmehr dem Vorhaben dieses Tunichtgutes namens Jakob Rehbock, in welchem der Gaukler umgehend einen Bruder im Geiste zu erkennen glaubte. Frei heraus hatte dieser Müllergeselle und Schlingel den Männern bei einer gemeinsamen Rast erzählt, er sei auf dem Weg nach Magdeburg, um sich dort dem Bischof als der von einer fast 30-jährigen Pilgerschaft heimgekehrte Markgraf Woldemar zu präsentieren. Der Markgraf von Brandenburg war seit Jahrzehnten tot– das wusste ein jeder–, und um die Erbschaft des Kinderlosen hatten so hohe Häuser wie die Wittelsbacher und Luxemburger gestritten, wobei Erstere sich durchzusetzen vermochten. Jetzt aber wollte der Müllergeselle Rehbock seinen Anspruch geltend machen, indem er sich als der wahre Woldemar ausgab, welchen es vor vielen Jahren urplötzlich zu einer Pilgerschaft ins Heilige Land getrieben habe, woraufhin er seinen eigenen Tod lediglich vorgetäuscht habe, um diese gottesfürchtige Fahrt in Ruhe antreten zu können. Eine äußerst unglaubwürdige Geschichte und somit ein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben, über welches Konrad und Johann nur hatten lachen können, während Regino der festen Überzeugung war, dass es dem Lügenbold gewiss gelingen werde und er bald zum Markgrafen von Brandenburg erklärt werden würde.
    Niemand glaubte– wahrscheinlich nicht einmal Rehbock selbst–, dass Regino mit dieser Überzeugung recht behalten würde, auch Marie nicht, welche erst nach fast einer Meile von den Männern eingeholt wurde und über die Geschichte vom Lümmel Jakob Rehbock herzlich lachen musste.
    Das war das letzte Mal, dass sie ausgelassen hatte lachen können. Denn seit einigen Tagen ging es Marie schlecht. Ihr war schwindelig, sie musste oft pausieren und ließ sich mitunter einfach ins feuchte Moos fallen, weil sie nicht mehr mit den anderen Schritt halten konnte. Selbst der noch immer leicht humpelnde Johann war nun schneller als sie unterwegs.
    Was war nur los mit ihr?
    Besonders Konrad sorgte sich und suchte, wenn sie schlief, ihren Hals und ihre Hüften nach den eindeutigen, schrecklichen Zeichen ab. Auch Regino betrachtete sie mitleidig, während Johann sie ständig angrinste, was Marie sehr störte.
    Ohnehin begann sie eine ganze Menge zu stören. Dinge, die ihr zuvor nie etwas ausgemacht hatten, waren ihr nun zuwider. So zum Beispiel war es ihr nicht mehr möglich, mit Regino von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, da ihr der Geruch seines Atems Übelkeit

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