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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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hörten damit auf, das unbeliebte Filzhut-Weib zu mustern, um sich ganz und gar den Worten dieses Fremdlings hinzugeben. Insbesondere die Augen von Anna Richling, der Stieftochter des kinderreichen Lutz Rotschopf, wanderten dabei immer wieder von dem Gaukler zum stotternden Wilhelm, der sich jetzt scheu nach ihr umsah.
    » Einst, vor vielen, vielen Jahren– es mögen mehr als zweihundert sein « , sprach der Fremde nun in ganz anderem, weniger plauderndem, vielmehr erzählendem Tonfall weiter, » da rief der Erzbischof von Magdeburg zu einem Kreuzzug gegen die Heiden im Osten auf. Schlimm seien sie, die Heiden, sprach er, aber ihr Land sei reich an Fleisch, Honig und Mehl. Bebaue man es kenntnisreich, so seien seine Ernten so ergiebig wie in keinem zweiten uns bekannten Land. Und so rief er die Menschen aus Sachsen, Franken, Lothringen und Flandern auf, ihre Seelen zu retten, indem sie das beste Land zum Bewohnen für sich gewannen. Glaubt ihr diese Erzählung oder denkt ihr, ich gebe euch ein Märchen wieder? «
    Ein unsicheres Murren war zu vernehmen.
    » Natürlich ist diese Erzählung wahr, natürlich gingen sie und besiedelten das Land im Osten. Sie brachten den Heiden das Christentum. Und nicht nur das, sie brachten ihnen auch das Wissen, wie man Land urbar macht, wie man Felder gewinntragend bestellt, wie man Sümpfe trockenlegt, wie man Wälder rodet. Und die Heiden dankten es ihnen. Sie nahmen die Fremden auf, denn der Heiden waren wenige, und ihr Land war groß, so groß, dass es reichlich Platz für Tausende, ja Abertausende von Bauern aus dem Westen, aus diesen Landen hier, bot. «
    » Aber das ist doch eine alte Mär aus längst vergangenen Tagen « , warf einer ein.
    » Das mag sein « , bestätigte der Fremde. » Vieles hat sich seither gewandelt. Dort im Osten sind zahlreiche Dörfer entstanden, große Städte wurden gebaut, befahrbare Wege führen überall hin. Aber Land haben sie noch immer übrig. Noch immer dürfen Leute kommen. Nicht mehr viele, aber dennoch einige. Der Vorteil der neuen Siedler unserer Tage ist es, dass sie nicht mehr auf wilde, feindselige Heiden treffen, dass sie sich nicht mehr in unendlichen Wäldern verlaufen, dass sie nicht mehr in den Weiten der Sümpfe versinken. Nein, all das wurde ihnen bereits geebnet. Sie ziehen ein in ein gelobtes Land. Fast möchte ich sagen, sie ziehen ein in ein Land, in dem Milch und Honig fließen. «
    » Dummes Zeug « , brummte Kaspar Steinwinkel.
    » Das sagst du, Bauer, und es ist berechtigt, dass du es sagst. Wüsste ich es nicht besser, wäre ich nicht längst dort gewesen, dann würde ich genauso sprechen. Doch ich war dort, in Schlesien, in Mähren, und ich habe von niemand anderem als König Karl dem Luxemburger, Regent auch von Böhmen und Mähren, den Auftrag erhalten, eine erlesene Auswahl an tüchtigen Bauern in sein Heimatland zu bringen. Ins Altvatergebirge, um genauer zu sein. Dorthin, wo nicht nur Erz, sondern sogar Gold zu finden ist. «
    Und dann zog er geschickt und ohne das Gleichgewicht zu verlieren eine enorme Pergamentrolle unter seinem farbenfrohen Wams hervor. Er entrollte sie feierlich und las:
    » Ego Carolus dei gratia rex … «
    Nach diesen wenigen lateinischen Worten unterbrach er sich, schaute mit hochgezogenen Brauen auf seine Zuhörerschaft und meinte dann:
    » Verzeiht, liebe Leut’, ihr versteht es natürlich nicht. Ich werde diese Urkunde für euch übersetzen:
    Wir, Karl, von Gottes Gnaden König, beauftragen niemand Geringeren als Regino von Bunseborn, seines Zeichens magister incolarum, als Lokator nach Westfalen auszuziehen und jeden, der zu wenig Ackerboden hat, mit seiner Familie in unsere neu gegründeten Dörfer zu holen, um hier das schönste, geräumigste, an Fisch und Fleisch überreiche Land nebst günstigen Weidegründen zu finden. Besiegelt mit dem königlichen Insignium. «
    Und damit hielt er den Leuten das Pergament entgegen, um ihnen das Siegel Karls IV . zu zeigen.
    » Karl, König von Böhmen « , wiederholte er zur Bestätigung der Wichtigkeit dieser Urkunde, während er mit seinen langen Fingern an dem Siegel herumspielte. » König von Böhmen und seit dem Tode des vom Papst gebannten Kaisers Ludwig des Bayern auch einziger römisch-deutscher König. Und gewiss– bei seinen guten Verbindungen zum Heiligen Stuhl in Avignon– bald unser künftiger Kaiser. «
    Ein anerkennendes Raunen ging durch die Menge, lediglich Ulrich flüsterte seiner Frau zu: » Flunkerei. Ein Leutbescheißer

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