Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
ist das. Die Urkunde ist nichts als eine Fälschung. Und dann beruft dieser Tölpel sich auch noch auf den Pfaffenkönig, den eh kein Mensch im Reich ernst nimmt. Komm, Marie, wir gehen heim. Es gibt viel zu tun. «
Marie zögerte eine Weile, doch dann folgte sie ihrem Ulrich. Sie war froh, dass dieser seinen Tatendrang wiedergefunden hatte. Dennoch blieb sie auf dem Rückweg noch einmal kurz stehen, drehte sich um und warf einen letzten Blick auf Regino von Bunseborn, welcher mittlerweile von seinem Baum herabgestiegen war und von einer lebhaften Traube wissbegieriger junger Leute umringt wurde.
Ganz gleich, ob Leutbescheißer oder nicht: Dieser Mann wollte fortgehen, weit fortgehen, in ein Land, so entfernt, dass nicht einmal Marie, als ehedem fahrende Frau, je dort gewesen war.
Es wäre doch eine Überlegung wert, sich ihm anzuschließen…
V
Nahe Venedig, im März 1348
W ären Konrad, Crispin und ihre Begleiter Anhänger apokalyptischer Prophezeiungen gewesen, so hätten sie die Zeichen, welche ihnen auf ihrem Weg durch Italien in Richtung Venedig begegnet waren, gewiss als eindeutige Hinweise auf das Nahen des Jüngsten Gerichts gedeutet. Doch auch ohne derartige Ängste, die den zwar frommen, aber dennoch recht abgeklärten Rittern fremd waren, war es erschütternd und schaurig genug, was sie vor allem im Norden Italiens, wo sie sich vor dem auf Sizilien erlebten Schrecken sicher wähnten, erfahren und erleben mussten.
Gleich zu Beginn des Jahres 1348 hatte hier die Erde gebebt. Ganze Berge in den nahen Alpen sollen sich gespalten haben und seien anschließend auseinandergebrochen. Zahlreiche Menschen waren dieser Katastrophe zum Opfer gefallen oder hatten Hab und Gut eingebüßt. Als ein Hieb der schlagenden Hand Gottes wurde das Unheil empfunden, als ein böses Omen, welches den sündhaften Menschen bloß als Warnung dienen sollte, als Vorankündigung weiterer, härterer Strafen. Und offenbar meinte der Schöpfer es ernst mit dieser Drohung, denn auch Konrad und seine Gefährten spürten noch immer die Erschütterungen des Faustschlages. Je näher sie ihrem nächsten Ziel Venedig kamen, desto stärker bebte im Abstand von nur wenigen Stunden der Boden immer wieder unter ihren Füßen, erschütterte ihre und die Leiber ihrer Pferde und ließ sie bis zu zwanzig Mal am Tage rasten und am Wegesrand in stilles Gebet verfallen.
Doch wie befürchtet, so schien dieses Erdbeben bloß der Bote eines noch größeren Schreckens zu sein, welchen die Ordensritter bereits auf Sizilien und im Süden der italienischen Halbinsel erlebt hatten. Doch dass dieses Unheil es geschafft hatte, ihnen vorauszueilen, damit hatten sie nicht gerechnet:
» Die Pestilenz. « Crispin zügelte sein Pferd. Auch die anderen drei Reiter hielten an, während Konrad weiter auf den Tross zuritt, der ihnen aus der nur wenige Meilen entfernten Lagunenstadt entgegenkam.
Eigentümlich langsam waren die Sänften, die Reiter und das Fußvolk unterwegs, mühselig, nahezu schleppend bewegten sie sich fort. Zu seinem Entsetzen bemerkte Konrad, dass sich zwei von den weiter hinten gehenden Menschen am Wegesrand niederließen, matt nach vorn in den Staub fielen und von den Übrigen nicht einmal beachtet, sondern einfach liegen gelassen wurden.
» Was ist hier los? « , fragte er den ersten der Flüchtlinge, nachdem er bei diesen angekommen war. Doch die Frage erübrigte sich, denn Konrad ahnte die Antwort. Crispin hatte sie längst gegeben.
» Verschwinde, Fremder, und komm dem Pesthauch der Stadt nicht zu nahe. Verschwinde, mach, dass du fortkommst, wenn dir dein Leben teuer ist « , waren nun die wenig überraschenden Worte des Angesprochenen.
» Gibt es denn keine Möglichkeit mehr, nach Venedig zu gelangen? Ich habe eine Nachricht für meine Ordensbrüder dort. « Konrad hielt das Pferd des Jünglings am Zügel, sodass dieser seinen langsamen, aber unbeirrten Marsch unterbrechen musste. Auch die Sänfte hinter ihm kam nun zum Stehen, während die weiteren traurigen, matten Gestalten sich aufmachten, die fünf Reiter mit gleichgültigen Mienen zu passieren.
» Es gibt nicht mehr viele, denen du deine Nachricht überbringen könntest, werter Ritter « , erwiderte der junge Mann. Er war edel gekleidet, ganz in Samt mit goldenen Stickereien, seine Kopfbedeckung war prächtig und mit Federn geschmückt, doch dieses edle Gewand mochte nicht zu seinem unrasierten, blassen, von blauen Flecken gezeichneten Gesicht passen. » Täglich sterben
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