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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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abenteuerlich, so unglaublich groß, dass es selbst ihm, dem in heimatlichen Gefilden Erfahrenen, mitunter Kopfzerbrechen bereitete. Dabei war Reginos Natur gar nicht dazu angelegt, sich um irgendwelche Dinge zu sorgen. Es war ihm stets eine Freude gewesen, neue Wege zu beschreiten, das Ungewisse zu suchen, ja, Gott und das Schicksal herauszufordern. Mittlerweile zählte er dreiunddreißig Jahre, von denen er die letzten acht meistenteils als Mitglied verschiedener fahrender Gruppen von Spielleuten, Zauberkünstlern, Feuerschluckern, Tierbändigern und Wahrsagern verbracht hatte. Er hatte sich ihnen gerne angeschlossen, ihnen seine vielseitigen Dienste angeboten und sich spätestens dann von ihnen verabschiedet, wenn ihr Weg mehr als zwölf Meilen von seinem Heimatdorf wegführte. Während dieser langen Zeit lernte er viel. Er lernte wahre und unwahre Dinge und die Kunst, sie derart zu vermischen, dass sie niemand mehr voneinander trennen konnte– nicht einmal er selbst. Ja, Regino war ein Meister der Verstellung– ausgestattet mit einer mitreißenden Überzeugungskraft, die aufgrund seiner unerschütterlichen Naivität durchaus einen echten, einen ehrlichen Kern aufwies.
    Denn Regino von Bunseborn wollte allen Menschen nur Gutes tun.
    Vor allem aber wollte er sich selbst nur Gutes tun und glaubte fest daran, durch dieses Streben ganz von allein wohltuend auf seine Umwelt einzuwirken.
    Im Grunde war er also ein liebenswerter Kerl und stellte damit das Gegenstück zu dem Mann dar, dessen Kumpan er bei seinem neuesten Vorhaben geworden war. Er hatte den narbengesichtigen Rheinländer in einem berüchtigten Wirtshaus, einem Halunkenloch, unweit der Pilgerstätte der Externsteine kennengelernt und war sogleich mit ihm ins Gespräch gekommen. Es stellte sich heraus, dass dieser Mann verschlagener und findiger war als alle Schlitzohren, welchen Regino im Laufe seines fahrenden Lebens begegnet war. So verstand jener es zum Beispiel, Urkunden in einem solch guten Latein zu verfassen, dass die Fälschung nicht einmal einem seit fünfzig Jahren in einem Scriptorium eingeschlossenen Benediktinermönchlein aufgefallen wäre. Eine durchaus brauchbare Gabe, noch brauchbarer jedoch war der Plan, mit dem der Rheinländer Regino nach einigen Humpen Bier vertraut gemacht hatte. Ein vielversprechender, großartiger Plan war das, der das Feuer in dem ohnehin leicht entflammbaren Regino derartig entfachte, dass er nicht lange überlegte und noch am gleichen Abend in das durchaus anspruchsvolle, da mühselige, aber goldbringende Vorhaben des neuen Freundes einstieg.
    Nach einigen Wochen des gemeinsamen Beratschlagens, Austüftelns und Zurechtlegens– eine Zeit, die wegen des unausstehlichen Charakters des Rheinländers nicht leicht für die Frohnatur Regino gewesen war– hatte der Plan schließlich Gestalt angenommen. Regino hatte es kaum abwarten können, ganz hibbelig und hektisch war er geworden, er glich einem kleinen Kind, das in der Vorfreude auf ein großes Fest vollkommen außer sich war und die Nächte zählte, welche es noch zu durchschlafen galt.
    Dann war es endlich so weit gewesen: Der Tag war gekommen, Regino fühlte sich gewappnet für die erste große Aufgabe seines Lebens, welche all seine Fähigkeiten in Anspruch nehmen würde und ihn am Ende reich belohnen sollte. Glückselig hatte er sich von dem Mann, dem er all das zu verdanken hatte, dessen Gesellschaft er aber dennoch schrecklich fand, verabschiedet und war zunächst in sein Heimatdorf gegangen, um seiner alten Mutter und seinem an Händen und Füßen verkrüppelten Bruder Lebwohl zu sagen und ihnen zu versprechen, in wenigen Jahren zurück zu sein, um dann der Mutter einen Biberpelz und dem Bruder ein edles Ross mitzubringen.
    » Brot wäre uns lieber, mein Sohn « , hatte das traurige Mütterlein ihm nachgerufen, doch das hatte Regino schon nicht mehr gehört, so sehr versunken war er bereits in den Vorstellungen von der ihm bevorstehenden großen Aufgabe. Seiner Aufgabe. Der größten Aufgabe seines Lebens, die ihn als den Heerführer einer frischen, jungen Schar sehen sollte.
    Allein, dies stimmte nicht. Es war bloß ein Traumbild, und im Grunde seines Herzens spürte Regino dies. Er taugte nicht zum Anführer eines solch verwegenen Vorhabens. Und dabei waren es weniger Mut und Geschicklichkeit als vielmehr Erfahrung und Kaltblütigkeit, die ihm dazu fehlten. Er kannte nicht einmal den Weg. Wie viele hundert Meilen zurückzulegen seien, das wusste er nicht;

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