Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
schmatzte Fips nun lapidar, nachdem er in ein saftiges Stück Wild gebissen hatte. » Wir benötigen keinen Klotz am Bein, Mariechen. Da gibst du mir doch recht. «
Marie spürte regelrecht, wie alles Blut in ihren Adern gefror. Eine eisige Kälte bemächtigte sich ihrer, sie konnte nicht einmal mehr die Lippen und Augenlider bewegen, so starr war sie vor Schreck.
» Wer war es? Sag es mir. Oder weißt du es gar nicht? Der Ritter, der Bauernbursche, der wirre Vogel Regino oder gar dein greiser Gatte? Wer hat dir diese Frucht da in den Leib gepflanzt? Die Auswahl ist groß, nicht wahr? «
Marie antwortete nicht. Angewidert beobachtete sie, wie er erneut mit seinen faulen Zähnen ein riesiges Stück Fleisch aus der fetttriefenden Keule riss.
» Ich bin dir nicht böse. Ich verzeihe dir, Marie, denn ich liebe dich « , flüsterte er nun zärtlich, nachdem er aufgekaut hatte, über den Tisch, und tatsächlich zeigten seine Augen so etwas wie Ehrlichkeit. Marie zog die Brauen zusammen: Das konnte nicht sein. Er war schon immer ein guter Lügner gewesen, aber nun hatte er das Schauspiel zu wahrhaft hoher Perfektion entwickelt.
» Aber ich dulde nicht das Kind eines anderen in meiner Nähe. Du verstehst mich doch. «
Marie versuchte schon die ganze Zeit über krampfhaft ihre Fesseln an der Tischkante aufzureiben, doch das weiche Tischtuch verhinderte dies und verriet ihr heimliches Tun, indem es immer wieder verrutschte.
» Ich habe mir erlaubt, einen Trank zu erstehen, der uns den Weg zu der Zigeunerin ersparen könnte. Wie weit bist du, Marie? «
» Zu weit. Es ist bereits der fünfte Monat. « Die Antwort entfuhr ihr rasch. Sie wusste, wovon er sprach. Schon zwei Mal hatte sie ein solches fruchttötendes Gebräu trinken müssen, um ungewollte Schwangerschaften zu beenden.
» Dann hilft bloß die Zange. Dennoch wollen wir es versuchen. « Fips nahm einen letzten Bissen von seiner Keule, kaute lange, schluckte in Ruhe herunter, spülte mit Wein nach und griff dann neben sich nach einem Krug, aus dem er eine zähe, dunkle Flüssigkeit in seinen geleerten Silberbecher goss. Es dauerte lange.
» Ich bleibe bei dir, Vitus. Das verspreche ich dir « , sagte sie nun, während das honigartige Getränk in den Becher troff. » Lass mir das Kind, und ich werde dir eine gute Frau sein. «
» Nein « , antwortete er bloß und genoss regelrecht den Augenblick, in welchem er die Vorbereitung des Tranks vollendet hatte. Genüsslich roch er an dem Gebräu, indem er geräuschvoll mehrfach durch die Nase ein- und ausatmete.
Wieder scheuerte Marie an ihren Fesseln, doch je mehr sie sich anstrengte, desto fester zogen sie sich zusammen.
» Es gibt eine wunderbar einfache und recht unschädliche Möglichkeit, einem sich Sträubenden einen Trank einzuflößen, Marie. Du musst es also nicht freiwillig zu dir nehmen « , sagte er milde und erhob sich.
Feierlich stand er nun da, am Kopfe des alten Tisches, den Kelch in der Hand.
» Wenn du magst, dann kannst du ein Kind haben, Marie. Ich werde es dir machen, sobald du dich erholt hast und wir das Ziel unserer Reise erreicht haben. « Auch diese Worte klangen wieder ehrlich. Fips schwankte hin und her zwischen dem Ergötzen an der eigenen Grausamkeit und seinen wahren, wirklichen Gefühlen. Das war offensichtlich. Doch es war auch offensichtlich, dass seine tiefen, ehrlichen Empfindungen ebenfalls von ekelerregender Grausamkeit waren. Er glaubte tatsächlich, Marie etwas Gutes zu tun, indem er sie zwang, das Kind mit Absicht zu verlieren.
» Wenn du mich zwingst, das Zeug zu trinken, werde ich dich bei der nächsten Gelegenheit töten « , drohte ihm Marie nun mit fester Stimme und fester Miene.
» Zweimal hast du es bereits versucht, mein Kind. Und zweimal bist du gescheitert. Du vermagst es nicht. Und warum vermagst du es nicht? Es ist ganz einfach: Weil du mich liebst. «
» Aller guten Dinge sind drei « , gab Marie kühl zurück, während sich das Blut bereits in ihren Händen staute, die sie nach wie vor ununterbrochen an der Kante rieb.
Fips lachte auf. Teuflisch lachte er auf, er warf seinen Kopf in den Nacken und schickte mehrere hämische Stoßlaute in Richtung Decke. Er glaubte ihr offenbar nicht, hielt sie für unfähig. Und vielleicht hatte er sogar recht damit. Sie war unfähig, sie hatte es nicht vollbringen können, und sie wollte auch nicht daran denken, in die angedrohte Lage zu geraten, in der sie dem Mörder ihres ungeborenen Kindes den Garaus machen
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