Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
die Ausschmückung der Wände durch Mosaike und Malereien noch fehlte, konnte Crispin sich gut vorstellen, wie sehr dieser Empfangsraum einen jeden zukünftigen Besucher der Marienburg unmittelbar von der Macht und der Standhaftigkeit des Ritterordens überzeugen müsste.
» Meister Fellenstein aus Koblenz hat mir soeben die überarbeiteten Pläne für den Turm gezeigt. Ich bete zu Gott, dass ich es noch erleben darf, dieses Gebäude wenigstens ein einziges Mal in Augenschein nehmen zu dürfen « , rief der Hochmeister Crispin zu, welcher ihm noch immer durch den riesigen Raum entgegenschritt, um sich schließlich demütig vor ihm zu verneigen.
» Ein wahrlich meisterhaftes Bauwerk « , staunte Crispin ehrlich, ohne dem Hochmeister schmeicheln zu wollen. Denn Dusemer war unempfänglich für Schmeicheleien. Er liebte die Wahrheit, auch wenn sie schmerzte.
Das Oberhaupt des Deutschen Ordens befand sich bereits im Greisenalter, aber dennoch sah man ihm noch immer an, dass er einst ein standhafter Krieger gewesen war, der in jungen Jahren sogar den bärenstarken Litauerfürsten Vytenis im Zweikampf besiegt hatte, woraufhin dieser dem Ordensritter außerordentlichen Mut und Ritterlichkeit bescheinigte. Eine große Ehre für Dusemer, auch wenn, oder gerade weil diese Worte aus dem Mund des heidnischen Feindes kamen. Trotz seiner körperlichen Stärke war Dusemer aber dennoch kein Haudrauf, sondern hatte sich gerade in den Jahren, in denen er nun das Amt des Hochmeisters bekleidete, durch große Umsicht ausgezeichnet. Umsicht, aber nicht Nachsicht.
» In den nächsten Tagen erwarten wir die Lieferung des Glases für die Fenster. Solch riesige Fenster mit Glas auszustatten, wird eine heikle Angelegenheit werden… «
» Es wird gelingen, Hochmeister, da bin ich mir sicher. Außerdem könnt Ihr auf die Erfahrungen Eures Baumeisters vertrauen « , dämmte Crispin die Bedenken Dusemers ein.
Dieser lächelte zufrieden, verabschiedete sich mit einem Nicken von dem Baumeister Fellenstein und führte Crispin sodann in eine staubige, aber einigermaßen ruhige Ecke der Baustelle, wo sie ungestört miteinander reden konnten. Das Gesicht Dusemers wurde nun, da er nicht mehr von dem Fortschreiten seiner Baupläne schwärmen konnte, sehr viel ernster, ja besorgt. Crispin ahnte nichts Gutes.
» Ihr habt sicherlich davon gehört, dass Graf von Topfen recht übereilt die Marienburg samt der Asche seines Sohnes verlassen hat « , sagte der Hochmeister.
» Ja, ich hörte davon « , bestätigte Crispin und blickte den anderen erwartungsvoll an.
» Ihr kennt den Grund für diesen fluchtartigen Aufbruch? « , die Stimme Dusemers klang nun streng, fast wie in einem Verhör.
» Mir sind lediglich Gerüchte zu Ohren gekommen « , gab Crispin zurück.
» Wir wollen nicht lange um den heißen Brei herumreden, Bruder Crispin. Von Topfen ist abgereist, weil ihn die Nachricht über die Gefangennahme unseres vermeintlich an der Pest verstorbenen Bruders Konrad erreicht hat. Man ist seiner an der Grenze zwischen Schlesien und Mähren in einem Wirtshaus habhaft geworden. Angeblich habe er sich nicht widersetzt, als die Männer von Topfens ihn in Fesseln legten und mit sich nahmen. «
Crispin wurde heiß und kalt zugleich. Er wusste nicht, ob er nun kreidebleich oder purpurrot anlief. Sorge und Scham erdrückten ihn gleichzeitig. Es stimmte also doch. Konrad war aufgespürt worden und er selbst somit als Lügner enttarnt.
Dusemer musterte sein schweigendes Gegenüber eine Weile scharf, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Dann meinte er:
» Um ehrlich zu sein, ist es für mich eine Erleichterung, diesen griesgrämigen, rachsüchtigen Grafen nicht weiter als ständigen Gast in unseren Mauern beherbergen zu müssen. Aber dennoch wünsche ich über die Hintergründe des Vorfalls aufgeklärt zu werden. Die Wahrheit, Bruder Crispin, nennt mir die Wahrheit. Umgehend! «
» Die Wahrheit « , antwortete Crispin matt. » Die Wahrheit ist, dass Konrad die Pest überlebte. Er ist nicht an ihr gestorben, so wie der Kumpan Friedrich von Steinberg und der Sariantbruder Bertold Rodenbach. Ich riet ihm, nachdem ich von dem schrecklichen Tod des jungen von Topfen erfahren hatte, zur Flucht. Es ist allein meine Schuld, dass er sich nicht sogleich gestellt hat, so wie er selbst es beabsichtigte. Und zudem habe ich die Sünde der Lüge auf mich genommen und erzählt, er sei der Pest erlegen. Ich habe selbst Euch belogen, verehrter Hochmeister. «
Crispin ging
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