Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
langsamen Stoß zur Wehr zu setzen, doch dieser vergebliche Widerstand schien ihn nur noch mehr zu belustigen. Er hatte seinen Spaß an der Situation und nutzte sie mit all seiner wiedergewonnenen physischen Kraft aus.
» Du brauchst dich nicht zu fürchten, ich werde dir nichts tun « , sagte er jetzt, während er die Waffe jedoch nicht zurücknahm, sondern mit der anderen Hand hinter seinem Rücken ein zusammengelegtes Hanfseil hervorholte.
» Leg deine Hände hübsch gefaltet zusammen, mein Engel « , forderte er sie mit sanfter, ekelerregender Stimme auf. Marie gehorchte, denn der Fleck auf ihrem Unterkleid wurde immer größer. Noch war es bloß ihr Blut, das Blut, welches unmittelbar unter der Haut floss, doch sollte er tiefer stechen, so würde er bald die Frucht treffen.
Ohne Gegenwehr ließ sie sich von ihm die Hände fesseln. Sie war froh, dass er zu diesem Zweck den Dolch beiseitelegte. Unwillkürlich entspannte sich ihr Bauch. Sollte er sie doch binden, mit sich nehmen, sie schlagen, schänden und demütigen– die Hauptsache war, dass er ihr das Kind ließ. Dieses eine Kind– sie wollte es behalten. Endlich wollte sie eines ihrer Kinder behalten und nicht wieder dazu gezwungen werden, es mithilfe eiserner Geräte oder giftiger Tränke zu verlieren.
» Wir werden ein Stück laufen müssen, Marie. «
Er zog sie nun von ihrem Lager hoch und legte liebevoll einen wollenen, grauen Umhang mit schwarzem Kreuz um ihre Schultern.
Der todbringende Kreuzträger, dachte Marie.
Sie gab sich weiterhin Mühe, ruhig zu bleiben. Er wollte, dass sie ihn begleitete, und sie würde es tun. Aber sie müsste ein Zeichen setzen, eine Botschaft hinterlassen, damit Regino und Johann, wenn sie bald zurückkehrten, wüssten, was mit ihrer Gefährtin geschehen war.
Doch was sollte sie machen?
Angestrengt dachte Marie nach, während Fips, ganz als wäre er ihr ergebener Diener, damit beschäftigt war, sorgsam die wenigen Habseligkeiten Maries in einen Beutel zu packen. Auch er schien mit dieser Sorgfalt ein Zeichen setzen zu wollen, und zwar den unmissverständlichen Hinweis darauf, dass Marie gegangen war und nicht wieder zurückkehren würde.
Ihr Atem ging schwer, in ihrem Kopf pochte es dumpf, ihr Herz fühlte sich an wie ein heißer, schwerer, pulsierender Stein.
Sie wollte sich nicht ausmalen, was in den nächsten Stunden geschehen würde. Besser war es, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und dafür zu sorgen, dass dieser Unberechenbare ruhig blieb. Doch mit der Tat, die Marie jetzt im Schilde führte, würde sie ihn gewiss zornig machen, denn eine solche ließe sich nicht vor ihm verheimlichen. Es würde ein lautes Quieken geben. Aber dennoch müsste sie es versuchen, denn das war die einzige Möglichkeit, um Johann und Regino einen eindeutigen Hinweis auf ihren Verbleib zu hinterlassen.
Die Ratte lief schon die ganze Zeit um Maries nackte Füße herum. Schwarz-weiß gescheckt war sie. Im Grunde ein schönes Tier, aber dennoch ekelerregend. Ihr nackter, langer Schwanz strich soeben durch den Zwischenraum von Maries Zehen. Es war ein schönes Gefühl, ließ sie aber trotzdem erschaudern. Ganz so, wie es sie ekelte, wenn dieser Mann, dieser von den Toten auferstandene Teufel, versuchte, zärtlich zu ihr zu sein.
Marie hob langsam ihren rechten Fuß. Das zahme Tier war nun direkt darunter, es schnupperte an der schmutzigen, verhornten Unterseite des Fußes. Das, was jetzt folgte, geschah schnell und mit sehr viel Kraft. Es gab ein knirschendes Geräusch und tatsächlich ein kurzes entsetzliches Quieken– dann war das Viech tot.
» Was soll das? « , fuhr Fips Marie an und war sofort zur Stelle, um die Ratte am Schwanz hochzuheben. Sämtliche Knochen schienen zermalmt zu sein, denn der leblose Körper baumelte herab, als bestehe er lediglich aus Haut und Fell. Achtlos warf Fips den Kadaver auf Maries verlassenes Lager.
» Du bist und bleibst mein Mädchen. Ganz die Alte. Bist du etwa noch immer eifersüchtig auf meine kleinen Freunde? « Er sagte dies freundlich. Marie nickte, woraufhin er sich vor sie stellte und ihr einen Kuss auf den Mund gab. Sie ließ es geschehen, es schmeckte nach Moder, nach Grabesfäule. Am liebsten hätte sie ausgespuckt, doch sie beherrschte sich.
Die tote, bunte Ratte war genau dort gelandet, wo Maries beide Begleiter sie auf jeden Fall finden würden, wenn sie von ihrem Streifzug zurückkamen. Sie würden wissen, was geschehen war, sie kannten diese Sorte Tier und ihren
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