Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Kaiserreich anzutreten.
Auch Konrad von Tiefenbrunn hatte den gesamten Winter in Ruhe verbracht. In einer entsetzlichen, zermürbenden, stockfinsteren Ruhe.
Im Herbst des Jahres 1348 hatte er zusammen mit seinen Häschern die Burg des Grafen von Topfen im Schwäbischen erreicht, um von da an als der Gefangene seines rachedurstigen Feindes in dessen Kerker zu warten. Und Konrad wartete. Er wartete zunächst Stunden, dann Tage und Nächte, Wochen und schließlich Monate, doch nichts geschah. Gar nichts.
Nicht einmal der Folterknecht erschien, um ihn in die nahegelegene Kammer zu führen, wo Konrad beim Betreten seines Verlieses das eine oder andere durchaus bekannte peinliche Instrument hatte stehen sehen. Nein, von Topfen folterte seinen Gefangenen nicht. Er verhörte ihn auch nicht. Er ließ ihn einfach nur in Ketten gelegt im Dunkeln sitzen. Dabei weilte der Graf durchaus auf seiner Burg, das wusste Konrad, denn von Topfen besuchte ihn zuweilen. Etwa eine Woche nach Konrads Ankunft– so genau vermochte er es selbst nicht zu sagen, da er Tag und Nacht in der Finsternis nicht unterscheiden konnte–, etwa eine Woche also nach Konrads Ankunft war von Topfen zum ersten Male erschienen. Konrad kannte ihn, er war mit ihm kurz nach dem Verschwinden seines Sohnes auf der Marienburg zusammengestoßen. Von Topfen war damals außer sich gewesen, hatte Konrad als » Mordbube « und » Heidenfreund « beschimpft, ihm mit dem Tod gedroht. Konrad hatte den schmächtigen Mann nicht ernst genommen, er hatte sogar Mitleid mit ihm gehabt, denn er verstand die Wut des Vaters über den Verlust seines einzigen Sohnes durchaus.
Doch jetzt, bei den Besuchen, die der Graf seinem Gefangenen abstattete, wirkte von Topfen alles andere als wütend und aufgebracht. Vielmehr machte er einen äußerst zufriedenen Eindruck, wenn er sich, in einen Pelz gehüllt, schweigend vor dem frierenden, hungernden und stinkenden Ritter auf einen gepolsterten Armstuhl setzte und dabei an einer saftigen Keule nagte, um sich danach die Kehle mit Wein zu benetzen und die fettigen Finger in einer Schale voll Rosenwasser zu baden. Dieses Zeremoniell wiederholte sich seither fast täglich, und nie sprach von Topfen ein Wort. Vielmehr labte er sich an der zusehends verfallenden Erscheinung des verhassten Mörders seines Sohnes, der ganz und gar nicht mehr dem starken Muskelprotz glich, als welchen man Konrad von Tiefenbrunn gemeinhin in Erinnerung hatte. Immer dürrer und dürrer wurde er, immer fahler, aschfahl. Von Tag zu Tag schwand er mehr dahin, bis er irgendwann, so hoffte von Topfen, nur mehr aus Staub bestehen würde. Ganz so, wie es seinem geliebten Sohn Roderich widerfahren war, von dem der Vater durch den Hochmeister Dusemer nichts weiter als ein Häufchen Asche überreicht bekommen hatte. Asche, die– da machte von Topfen sich nichts vor– sehr wahrscheinlich nicht einmal von Roderich stammte. Eine Geste war es, ein Symbol des Trostes, welches Dusemer dem trauernden von Topfen in einer reich verzierten Urne überlassen hatte, denn in Wahrheit waren die Überreste des verbrannten Sohnes von den wilden Heiden gewiss in alle Himmelsrichtungen verstreut worden.
Und so sollte es auch mit diesem Ritter geschehen, der dafür gesorgt hatte, dass Roderich wehrlos in die Hände der Litauer gefallen war. Auch seine Überreste würden verteilt und an die Krähen verfüttert werden, doch zuvor wollte von Topfen sich noch eine Weile an dem Verfall ergötzen, dem dieser verabscheute Mensch hier in seinem Kerker ausgesetzt war.
Konrad hatte einige Male versucht, das Wort an den Grafen zu richten, wenn dieser sich seinen Stuhl hatte bringen lassen, um das übliche Ritual vor den Augen des in Ketten Liegenden zu vollziehen. Doch sobald Konrad einen Laut von sich gab, war sogleich der bullige Wärter zur Stelle, um ihm mit einem dünnen Stock ins Gesicht zu schlagen. Von Topfen war offenbar nicht nach Reden zumute.
Und auch der Wärter sprach kein Wort mit Konrad. Selbst dann nicht, wenn sie beide allein in diesem Kellerverlies waren und der Bulle mit der außergewöhnlich stark gewölbten Stirn dem Gefangenen seine spärliche Essensration brachte. Er antwortete auf keine der Fragen Konrads, nickte nicht, schüttelte nicht den Kopf, sodass Konrad nach einigen Tagen aufgab.
Die Zeit, sie wollte nicht verstreichen. Allein durch die zunehmende Kälte nahm Konrad wahr, dass der Winter Einzug gehalten hatte, denn Licht drang keines in seinen Kerker. Es war immer wieder
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