Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
doch schon längst auf mich zukommen sehen « , flüsterte die Alte nun.
» Hast du das? « Nun hielt der Pfeifer inne. » Besitzt du etwa tatsächlich eine Hexengabe? «
» Nun ja. Ich suche nicht nach diesen Erleuchtungen, sie kommen von allein. Ein Geschenk Gottes will ich es nennen. «
» So ist es recht. Nenn es besser ein Geschenk Gottes. Damit bist du auf der sicheren Seite, alte Maja. Kannst du auch etwas über mich und mein Geschick sagen? « Regino legte seine Zwiebel ab, huschte dann flink zu der Alten hinüber und platzierte sich unmittelbar in Augenhöhe vor ihr, um sie mit einem erwartungsvollen, etwas gestelzten Ausdruck im Gesicht anzuschauen.
Ein eigentümliches Schweigen erfüllte den Raum. Alle hielten in dem inne, was sie soeben getan hatten, und warteten ab, was nun geschah. Auch Marie war gespannt auf das, was Maja sagen würde. Immerhin hatte die Alte, bevor sie zusammen mit Marie die anderen aufgesucht und in ihr Haus eingeladen hatte, auch der jungen Frau eine Warnung erteilt. Würde Regino nun eine ähnliche Prophezeiung erhalten?
Inständig wünschte sich Marie, dass es sich bei der Waldfrau um eine Hochstaplerin handelte, eine von der Sorte, wie sie ihr in ihrem Leben als Begleiterin von Vitus Fips so oft begegnet waren. Das waren meist Frauen mit stark geschminkten Gesichtern, langen Fingernägeln und dunklen Stimmen gewesen, die vorgaben, den Leuten aus der Hand lesen zu können oder ihre Zukunft im Spiegel einer Wasserschale zu erkennen. Lustige Weiber waren das, durchaus gutmütig, warmherzig. Mit einigen von ihnen hatte Marie als Kind sehr gern Zeit verbracht. Aber was ihre Profession anging, so bestand diese aus eben den gleichen Findigkeiten wie die Vorstellungen eines Zauberkünstlers, der es vermochte, einen Hund vom Erdboden verschwinden und auf einem Baum wieder auftauchen zu lassen. Alles Schauspiel, alles Kunst, gutes Schauspiel und gute Kunst, aber beileibe nicht wahrhaftig. Doch dieses alte Weib hier, diese Maja, die war anders. Welchen Nutzen würde es ihr auch bringen, ihnen etwas vorzugaukeln? Immerhin fand sich hier im Wald in der Regel kein Publikum, welches sie für ihre Gabe entlohnte.
» Regino, beeile dich! « Das war alles, was die Einsiedlerin nun von sich gab.
» Aber wieso soll ich mich beeilen? « , fragte dieser ein wenig enttäuscht. Er hatte mehr erwartet.
» Er ist euch auf den Fersen « , sagte sie nun.
» Von wem sprichst du? Wer ist uns auf den Fersen? «
» Das kann ich dir nicht sagen, denn ich weiß es nicht. Aber ich spüre: Er ist euch auf den Fersen. «
» Ich kann mir denken, wen du meinst « , murmelte Regino vor sich hin und wandte ganz leicht und unmerklich seinen Kopf in Richtung Marie. Er blickte ihr nur kurz in die Augen und schaute sofort wieder weg, aber Marie hatte es durchaus bemerkt. Eine Eiseskälte durchfuhr sie.
Fips. Die Rede war eindeutig von Fips. Spürten die anderen etwa, dass sie, Marie, es war, die diese Gefahr in ihrem Schlepptau führte? Das konnte doch nicht sein. Das war Zauberwerk.
Plötzlich fühlte sie, wie sich etwas Warmes auf ihre zitternde Hand legte und sie sanft zu drücken begann. Es war Majas Hand. Die Alte hatte sich unbemerkt neben die junge Frau gesetzt und flüsterte mit ruhiger Stimme:
» Du bist stark. Du kannst versuchen, dem Unausweichlichen zu trotzen. «
» Wie? « , stotterte Marie.
» Ich werde dir helfen. «
Die Alte nickte gütig, ein Schmunzeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Und als hätte Regino das Gespräch der beiden Frauen belauscht, rief er mit einem Male aus:
» Maja, begleite uns! Warum einsam im Walde sitzen und darauf warten, dass dich die Mönche dem Henker ausliefern? Komm mit mir! Deine Gabe kann uns in einer jeden Stadt volle Bäuche bescheren. Es soll zu deinem Schaden nicht sein! Einen Esel werde ich dir kaufen, damit deine alten Beine nicht müde werden. «
» Meine Katzen, Regino. Du vergisst meine Katzen « , wandte Maja belustigt ein, als sei dies der einzige Grund für sie, der gegen eine Abreise sprach.
» Setze sie auf dem Dachstuhl der Kirche aus, da können sie den Mönchen einen Gefallen tun und ihnen die Mäuse vom vollgefressenen Leibe halten. «
Maja wurde mit einem Male nachdenklich. Noch immer hielt sie Maries Hand. » Gefährlich wird euer Weg, und durchs Verderben wird er führen, das spüre ich. «
» Dann bewahre uns davor, wenn du doch ohnehin alles spürst. Du musst uns begleiten. « Regino schien, trotz der düsteren Worte,
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