Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Oberarmen der jungen Frau. Sie schüttelte sie leicht und schaute ihr dann wieder tief in die Augen. Einen Moment lang herrschte Stille, dann sagte das alte Weib:
» Auch du wirst ihm nicht entkommen, deinem Schicksal, mein Kind. Es holt dich ein, schon bald holt es dich ein. Uns alle wird es ereilen. Das steht fest. «
IX
D as Feuer knisterte behaglich, und während in dem darüber hängenden Kessel eine dünne Kohlsuppe köchelte, hielten die Umsitzenden an langen Stöcken dicke Zwiebeln über die Flamme.
» Schon lange sind keine Fremden mehr in diesem Dorf gewesen « , erzählte die alte Maja. So war der Name der Frau, welche Marie die schreckliche Prophezeiung gemacht hatte, von der sie sich noch immer nicht richtig erholen konnte. Stumpf starrte sie in die Flamme, während sich Regino angeregt mit dem Einsiedlerweiblein unterhielt und die anderen gierig auf ihr Abendessen warteten.
Sie saßen zusammen in dem größten der verlassenen Häuser der Waldwüstung. Es war einst der Hof des Schulzen gewesen, doch nachdem alle fortgezogen waren, hatte sich Maja in dieser besten aller Unterkünfte häuslich eingerichtet. Zwar lebte sie allein mit etwa einem Dutzend Katzen und einer Handvoll Hühnern, dennoch war das geräumige Gebäude bis unter die Decke vollgestopft mit allerlei. Ja, anders konnte man es nicht nennen, denn tatsächlich schien Maja sämtliche zurückgelassenen Habseligkeiten der Dorfbewohner zusammengesucht und hier gestapelt zu haben, darunter Dinge, die eine alleinlebende alte Frau niemals gebrauchen würde. Man entdeckte Unmengen an verschlissenen Holzschuhen, kaputte Ochsengeschirre, Leitern mit fehlenden Sprossen, löchrige Tröge, rostige Äxte, Berge von grauen Lumpen, ganz zu schweigen von den zahllosen Kräutern, die büschelweise von den Balken herabhingen, um dort zu trocknen. Ihnen war es zu verdanken, dass das ganze Haus, trotz der darin versammelten schmutzigen Menschen, der Kohlsuppe und dem alten, gammeligen Gerümpel, von einem würzigen, angenehmen Geruch erfüllt war.
» Na, dann bist du gewiss froh, gute Maja, dass wir dich nun besuchen und ein wenig von deiner Zeit stehlen « , plauderte Regino vergnügt. Er tat fast so, als kenne er die Kräuterfrau schon lange und sei gar ihrer Einladung gefolgt, als er seine Leute an diesen Ort führte.
» Ach, Besuch erhalte ich hier durchaus. Die Kirche, sie ist heil geblieben. Ab und zu kommen Mönche, um dort zu beten. Argwöhnische Gesellen sind das. « Die Stimme der bis dato vergnügten Alten klang mit einem Male besorgt.
» Was argwöhnen die Gottesmänner? « , wollte Regino wissen, während er vorsichtig versuchte, an seiner heißen Zwiebel zu nagen.
» Sie beäugen mich misstrauisch. Einer erschien kürzlich hier in meinem Heim und spähte in alle Ecken. Er fragte mich frei heraus, ob ich allein in diesem Walde hause, um in Ruhe Teufelswerk betreiben zu können. Doch das ist nicht alles. Einige Tage später standen sie zu zweit hinter mir, als ich Wasser aus dem Brunnen holte. Ein zerbrochenes Kreuz in den Händen, schrie mich der Ältere der beiden in lateinischer Sprache an, zwang mich dann, auf die Knie zu gehen und seine Worte nachzusprechen. Sie waren der festen Überzeugung, ich hätte das Kreuz zerstört. Eine solche Freveltat, schimpfte der Jüngere, sei mit einer einfachen Buße nicht abgetan. Sie drohten mir, mich an den weltlichen Arm zu übergeben. Ich fürchte, sie glauben noch immer, ich schände in ihrer Abwesenheit heimlich das Gotteshaus. «
Regino biss nun herzhaft in seine Knolle.
» Nun, Maja « , sprach er dann mit vollem Mund. » Das hört sich ganz danach an, als hielten dich die Mönchlein für ein Hexenweib. Man sollte den Gottesmännern niemals Angst einjagen, dann nämlich können sie zu wahren Kreuzrittern werden. «
» Seit nunmehr zweiundsechzig Sommern weile ich auf dieser Erde, und nicht einen Tag habe ich außerhalb meines Dorfes verbracht. Man hat mir nie ein böses Wort entgegengebracht, alle Menschen hier liebten mich, weil ich sie liebte. Ich half ihnen, und sie halfen mir. Selbst die Pfarrer– fünf an der Zahl erlebte ich– waren stets höflich zu mir. Aber diese nun! Wie eine Aussätzige gehen sie mit mir um. Ich fürchte fast, sie werden mich bald vertreiben. «
» Gar schlimmer noch kann es dir ergehen, Maja. « Wieder biss Regino unbekümmert in die Zwiebel, ganz so, als führe er eine völlig gewöhnliche Unterhaltung, in der es nicht um Folter und Tod ging.
» Das habe ich
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