Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
und mit kleinen Schritten die zwar an sich leichte, aber schwer bepackte Greisin trug. Maja, das wurde vor allem Johann nicht müde zu erwähnen, hatte es doch tatsächlich geschafft, nahezu ihren gesamten Hausstand mit auf die Reise zu nehmen, verpackt in einem enormen geflochtenen Tragekorb, der selbst einen Riesen, hätte er ihn sich auf den Rücken geschnallt, hintenüber kippen lassen würde. Nicht so die Alte, welche sich von den jungen Kerlen hatte zwingen lassen müssen, ihr die Last abzunehmen, als sie noch ohne Reittier unterwegs gewesen waren. Jetzt aber trug der Esel Maja samt Korb, während seine Reiterin mit Regino über die weitere Route beratschlagte.
» Nun « , raunte Regino nur leise, denn er wollte nicht, dass die anderen das Gespräch belauschten, » es könnte sein, dass ich dort etwas zu erledigen habe. Es könnte aber auch sein, dass es besser ist, nicht dorthin zu ziehen. «
Regino konnte sich selbst nicht helfen, aber er verspürte nur sehr, sehr wenig Lust, wieder mit Vitus Fips zusammenzutreffen. Und mit ebendiesem hatte er sich in Goslar verabredet. Natürlich war es notwendig, weiterhin zusammenzuarbeiten, denn immerhin war Fips der heimliche Vater dieses ganzen Unternehmens, und ohne ihn würde Regino am Ende ihres Weges gar nicht wissen, was zu tun sei. Doch das Ende des Weges– das Altvatergebirge in Mähren– war noch lange nicht erreicht. Also war es doch kein Muss, sich schon jetzt mit diesem ungemütlichen Kerl zu treffen. Nicht, wo Regino nun dank der Hilfe des kundigen Waldweibleins auch allein den Weg finden könnte. Gewiss, Fips wäre außer sich vor Zorn. Aber dieser Zorn würde verrauchen, denn zum Verrauchen hätte er bis Mähren noch eine Menge Zeit. Und außerdem würde ja eh alles glücklich enden. Das war sicher. Also musste man sich ja nicht unbedingt mit Unannehmlichkeiten aufhalten, wenn dies nicht zwingend notwendig war. Dazu genoss es Regino viel zu sehr, der Anführer dieser kleinen Schar zu sein, dazu war er viel zu sehr in seinem Element, als dass er sich danach sehnte, wieder von Vitus Fips kleingemacht zu werden. Ganz abgesehen davon, dass ihm ganz und gar nicht der Sinn danach stand, dem schrecklichen Kerl den unmenschlichen Wunsch zu erfüllen, welchen er bei Regino für das Etappenziel Goslar in Auftrag gegeben hatte. Regino erschauderte regelrecht bei dem Gedanken daran, was Fips in der Bergwerkstadt von seinem Komplizen erwartete.
» Erbittest du etwa von mir einen Orakelspruch? « , fragte Maja nun, den Pfeifer eindringlich musternd. » Was harrt deiner in Goslar, was dir solch große Sorgen bereitet? «
» Nichts « , erwiderte Regino rasch und warf dabei über die Schulter hinweg einen verstohlenen Blick auf Marie, die jedoch weiter hinten außer Hörweite ging.
» Nichts? Na, dann zieh nicht über Goslar. Das stellt einen gehörigen Umweg dar. Hättest du das Ziel von vornherein vor Augen gehabt, so wäre es für euch sehr viel leichter gewesen, von Höxter aus den breiten Hellweg nach Goslar zu nehmen, anstatt durch die verwachsenen Waldpfade des Solling zu streifen. «
» Tatsächlich? Du kennst dich wahrlich aus. « Regino war erleichtert. Auf diese Antwort hatte er gehofft. » Weißt du auch den Weg weiter in den Osten? Den Weg jenseits vom Elbefluss? «
» Wie soll ich den kennen, Regino? «
» Vielleicht siehst du ihn vor deinem inneren Auge. Könnte das sein? «
Maja stutzte und schaute Regino eine Weile stumm an. Sie hatte längst geahnt, in ihm einen vollkommen Orientierungslosen vor sich zu haben, doch die Tatsache, dass er dies ihr gegenüber nun zuzugeben schien, machte ihn noch weniger vertrauenswürdig. Hatte er etwa vor, sich ganz und gar auf sie zu verlassen?
» Das kann ich gewiss nicht. Für einen solch langen Marsch, Regino, benötigst du die Kenntnis von bewanderten Leuten. Dazu reicht die bescheidene Gabe einer Einsiedlerin, anhand von Sonne, Sternen und Moosbewuchs die Richtung anzuzeigen, nicht aus. Ich kann dir lediglich sagen, dass es jenseits der Elbe nur wenige feste Wege geben wird. Fahrende Juden, die früher häufiger in unser Dorf kamen, erzählten, dass sie durch diese rar besiedelten Gegenden meist des Winters reisten, um über zugefrorene Seen, Sümpfe und Bachläufe gehen zu können. Denn diese stellen die einzigen wegsamen Routen in der dortigen Wildnis dar, in der sich ein jeder, bis auf die heimischen Slawen, böse verirren kann. «
» So, so « , erwiderte der Gaukler nachdenklich und enttäuscht. »
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