Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
seine Favoritin Lisa unsanft zu sich aufs Pferd zerrte. » Doch für dreizehn Taler verlange ich mehr. Du da! «
Jetzt war sein Blick fest auf Marie gerichtet. Sie hatte bis dahin hinter dem Esel gestanden und sich ihre Kapuze möglichst tief ins Gesicht gezogen. Anders als die beiden unschuldigen Dorfgewächse wusste sie nur zu gut, mit welcher Sorte » Ritter « man es hier zu tun hatte. Mehr als einmal war sie mit Vitus Fips auf derlei wegezolleintreibende Räuberbanden gestoßen, und mehr als einmal hatte sie ihnen dann– aus Ermangelung an Geld– zu widerwärtigen Diensten sein müssen. Das stand auch nun zu befürchten, denn vierzehn Taler waren selbst die winzigen Bernsteinkieselchen und verbrämten Hornknöpfe, die Maja in ihrem Beutel mit sich führte, nicht wert.
Marie schlug die Kapuze zurück und ging erhobenen Hauptes dem Wegelagerer entgegen. Dieser lachte ihr erwartungsfroh, seine braunen Zahnstümpfe entblößend, zu.
» Dachtest, ich halte dich für ’nen Burschen, was? «
Nun saß er ab. Zog das weinende und wimmernde Bauernmädchen wieder aus dem Sattel und schleuderte es, einer Strohpuppe gleich, seinen Männern vor die Füße.
Der lange Josef wollte einschreiten, wurde aber von Wilhelm und Regino zurückgehalten, während Johann bloß unbeweglich und mit offenem Mund dastand.
» Nur Tenge und Michel dürfen, die anderen passen auf, dass uns die restliche Meute nicht abhaut « , rief der Räuberhauptmann seinen Leuten zu, ohne sich jedoch nach ihnen umzudrehen, denn seine Aufmerksamkeit galt allein Marie.
» Mit einer Schönheit hat man es hier zu tun. Ein bisschen füttern müsste man dich, aber für den Moment sollte es reichen « , hauchte er ihr ins Gesicht, während sich, ganz wie bei seinem Pferd, Schaum vor seinem Mund zu bilden begann.
Marie blieb ungerührt, sie ekelte sich nicht. Nein, Ekel hatte sie in ihrem Leben selten verspürt, es war ein Gefühl, das sie kaum kannte. Verachtung ja, aber Abscheu im Sinne von Ekel war ihr fremd. Wie konnte ein Kind, das in einem an die Kölner Stadtmauern gebauten, losen Holzverschlag inmitten von Rattendreck geboren war, jemals so etwas erlernen?
Er packte sie am Hinterkopf und drückte sie an sich. Es war kein Kuss, vielmehr hatte Marie das Gefühl, er wolle ihr Gesicht auffressen. Innerlich machte sie sich auf das offenbar unausweichlich Kommende gefasst. Sie würde einfach die Augen schließen und versuchen, an etwas anderes, etwas Schönes zu denken, so wie sie es immer tat, wenn ein Mann– sei es der brutale Fips oder auch ihr unbeholfener Ulrich– derartige Dinge von ihr verlangte. Meist gelang ihr diese Ablenkung, und dann war die Sache schnell vorbei. Doch heute schien sie Glück zu haben, denn der Schwarzbart wurde in seinem Tatendrang gestört.
» D… d… d… da kommt ein ganzes Gespann des Weges. Ich erinnere an die Grundruhr, ehrfurchtgebietender Ritter. Ihr wisst, Euer Recht als Landesherr, all die Güter einer Wagenladung euer Eigen nennen zu dürfen, die einem unachtsamen Kaufmann von dessen Karren fallen. Und ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Solch ein vollbeladener Karren kippt leicht um, es bedarf nur wenig Nachhilfe… «
Es war Regino, der es doch tatsächlich wagte, dem Wüstling auf die Schulter zu tippen, um seine Aufmerksamkeit auf ein sehr viel größeres Stück Raubritterbeute zu lenken. Durchaus erfreut brummend, wenn denn so etwas möglich war, stieß der Bärtige nun sowohl Regino als auch Marie von sich und rief brüllend seine Männer herbei, von denen einer bereits zwischen den nackten Beinen des schreienden Bauernmädchens Lisa lag, während die anderen die Szene umringten und nur einer die vor Schreck erstarrten Reisenden mit seiner Hellebarde in Schach hielt.
» Glück gehabt. Danke, Regino « , murmelte Marie und wischte sich ihr triefnasses, übelriechendes Gesicht mit der Schürze ab. Rasch eilte sie dann zu der wimmernden Lisa, half ihr, sich aufzurichten und wieder anzukleiden, strich ihr das zerzauste Haar glatt und führte sie zurück zu dem vor Zorn und Abscheu tiefroten Josef, den Marie erst durch eine schallende Ohrfeige davon überzeugen konnte, sich um das verstörte Mädchen zu kümmern, welches immerhin seinetwegen ihre Familie verlassen hatte, um in die unbekannte Fremde zu ziehen.
Sie alle benötigten einige Zeit, sich wieder zu sammeln, während die Wegelagerer auf ihre Rösser stiegen und sich, in Erwartung des augenscheinlich großen nahenden Kaufmannstrosses, neu
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