Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Langeweile und Unlust will man unter diesen Umständen von Leuten erwarten, die aus Gier nach Abenteuer in ein fremdes Land reisten, um sich dort schließlich als einfache Meier schwindender Ländereien wiederzufinden? Wie äußert sich der Landkomtur der Mangione in Palermo zu diesen Euren Feststellungen? «
Konrad räusperte sich und sagte dann: » Bevor Ihr mich unterbracht, verehrter Deutschmeister, wollte ich Euch von den widrigen Bedingungen berichten, die wir in mittlerweile ganz Italien auffanden. Palermo wurde von uns erst gar nicht erreicht. Unsere Reise durch Sizilien begann und endete in Messina und dessen Umland. Lediglich zwei kleinere Güter haben wir visitieren können, bevor die Pest uns von der Insel vertrieb. «
» Die Pest? «
» Ja, sie wütet im gesamten Gebiet jenseits der Alpen. Bis Venedig ist sie bereits vorgedrungen und lässt die Menschen binnen weniger Tage wie die Fliegen sterben. Ich fürchte, dass dieser verheerende Seuchenzug auch Auswirkungen auf die Bewirtschaftung und Erträge unserer Balleien in ganz Italien haben wird. Eine Visitation von Ordensgütern und die damit einhergehende Überbringung gut gemeinter Ratschläge hat sich somit erledigt. Zumindest, was das Gebiet südlich der Alpen betrifft. Unsere Brüder in Italien plagen Sorgen ganz anderer Art. «
» Das ist eine Schreckensbotschaft, die Ihr da bringt, Bruder Konrad. « Wolfram von Nellenburg war sichtlich bestürzt, blieb einen Moment lang stehen und legte sich nachdenklich einen Finger an die geschlossenen schmalen Lippen.
» Doch eine solche Nachsicht können wir hinsichtlich der Balleien in den deutschen Ländern nicht walten lassen. Ihr wisst, Deutschmeister, dass das Haupthaus eine Erklärung von Euch erwartet « , meinte Konrad ungerührt.
» Eine Erklärung wofür? « , erwiderte der Deutschmeister nun barsch. Ein wunder Punkt war getroffen. » Für das schlechte Wetter, die Missernten, die Heuschreckenplagen, die Fehden und Intrigen des uns umgebenen Landadels? Euch im fernen Osten ergeht es besser als uns. Wir haben hier mit anderen Feinden zu kämpfen als mit heidnischen Barbaren, die nur ab und an keulenschwingend vor den Mauern unserer Burgen erscheinen. Unsere Kämpfe finden nicht auf dem Schlachtfeld statt, nein, sie sind weniger ehrenhaft, sie ereignen sich vor Gericht. Schmiergelder und Schutzgebühren müssen aufgebracht werden, damit wir uns mit dem Adel gutstellen. Unser Orden im Reich ist nichts weiter als ein rechtloser Grundbesitzer. Was nützt Land, wenn es wie vom Himmel gefallene Kieselsteine verstreut liegt? Was nützt Tapferkeit, wenn man sie nicht auf dem Felde austragen darf, weil die Statuten es verbieten, gegen Christenmenschen zu kämpfen? Und was nützt Fleiß, wenn es dem Himmel gefällt, Jahr für Jahr die Ernte zu zerstören? Wir fahren keine Überschüsse ein, Bruder Konrad. Das Einzige, was bei uns einfährt, sind unverschämte, zweitgeborene Adelssprösslinge, die sich in unseren Häusern versorgen lassen wollen. Nichtsnutze, die bei Euch im Pruzzenland längst verstoßen worden wären, aber hier auf unsere Kosten ihren teuren Lustbarkeiten frönen. Und uns sind die Hände gebunden, denn gleich in der Nachbarburg hockt die hochadelige Verwandtschaft und droht mit dem Finger, wenn wir uns anschicken, den Nachwuchs ob seiner Unmoral zu strafen. Euer Vorteil im Pruzzenland, guter Konrad, ist der, dass es dort nur Bauern und den Orden gibt. Alles andere ist weit: Der König ist weit, der Papst ist weit, und vor allem ist der mächtige Adel weit. Unter diesen Bedingungen würde es auch mir leichtfallen, eine ertragreiche Herrschaft zu errichten. «
Wolfram von Nellenburg war regelrecht erschöpft, nachdem er diesen leidenschaftlichen Vortrag beendet hatte. Seine Augen glühten, und er blickte Konrad an, als sei dieser für all das verantwortlich, worüber sich der Deutschmeister soeben empört hatte. Konrad hätte ihm gern einiges erwidert und ihm seinerseits einen Vortrag über die Möglichkeit wohlorganisierten und an die Umstände angepassten Handels und Ackerbaus gehalten, doch wieder übermannte ihn mit einem Mal diese verfluchte Schwäche, ihm wurde schwarz vor Augen, und er musste sich an dem steinernen Sims eines gotischen Fensters festhalten. Er rang möglichst unauffällig nach frischer Luft und hätte am liebsten in den unter ihm liegenden Innenhof gespien, doch es gelang ihm glücklicherweise, sich zu beherrschen. Diese elende Krankheit, sie schien noch nicht ganz
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